Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

214 Funftes Buch. Die Berwaltung des Innern. 
bu die Ausweisung mit erheblichen Härten oder Nachtheilen! verbunden sein 
ollteꝰ. 
„Die Gemeinde ist nicht befugt (§ 8 des Gesetzes), von neu Anziehenden 
wegen des Anzugs eine Abgabe zu erheben. Sie kann dieselben, gleich den übrigen 
Gemeindeeinwohnern, zu den Gemeindelasten heranziehen. Uebersteigt die Dauer 
des Aufenthalts nicht den Zeitraum von drei Monaten, so find die neu Anziehenden 
diesen Lasten nicht unterworfen.“ Uebersteigt sie diesen Zeitraum, so tritt die 
Steuerpflichtigkeit nicht er nunc, sondern ex tunc, d. h. von dem Zeitpunkt des 
Zuzugs anö, ein. 
Die landesgesetzlichen und landespolizeilichen Vorschriften über die Melde- 
pflicht neu Anziehender find nicht aufgehoben; doch hat die Nichtbefolgung solcher 
Vorschriften nur die Verwirkung der angedrohten Strafe, nicht den Verlust des 
Aufenthaltsrechts zur Folge (§ 10 des Gesetzes vom 1. Nov. 1867). 
Andererseits werden durch den bloßen Aufenthalt oder die bloße Niederlassung 
die Gemeindeangehörigkeit, das Ortsbürgerrecht und die Theilnahme an den 
Gemeindenutzungen nicht erworben (§ 11, Abs. 1). Wenn jedoch nach den Landes- 
gesetzen durch den Aufenthalt oder die Niederlafsung, wenn solche eine bestimmte 
Zeit hindurch ununterbrochen fortgesetzt worden, das Heimathsrecht und bezw. die 
Gemeindeangehörigkeit erworben wird, so behält es dabei sein Bewenden (§ 11, Abf. 2). 
Wenn solcher Gestalt das Bürgerrecht erworben ist, muß auch das Bürgerrechts- 
geld“ bezahlt werden. 
Die Freizügigkeit ist eingeschränkt durch das Gesetz, betreffend den Orden der 
Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872 (R.-G.-Bl. 1872, S. 253), wonach Angehörigen 
des Ordens der Gesellschaft Jesu und der ihm verwandten Orden, die Inländer 
find (Ausländer können ohne Weiteres ausgewiesen werden), der Aufenthalt in be- 
stimmten Bezirken oder Orten untersagt oder angewiesen werden kann“". 
Paßzwang. 
Der früher in vielen deutschen Bundesstaaten bestandene Paßzwang ist durch 
das im ganzen Deutschen Reiche nunmehr geltende Gesetz über das Paßwesen vom 
12. Oktober 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 33) aufgehoben. 
Reichsangehörige bedürfen zum Ausgange aus dem Reichsgebiete, zur Rückkehr 
in dasselbe, sowie zum Aufenthalte und zu Reisen innerhalb desselben keines Reise- 
papieres. Doch sollen ihnen auf ihren Antrag Reisepapiere ertheilt werden, wenn 
ihrer Befugniß zur Reise gesetzliche Hindernisse, wie Militärpflicht, gerichtliche 
Untersuchung, Polizeiaufsicht, nicht entgegenstehen. Auch von Ausländern soll weder 
beim Eintritte, noch beim Austritte über die Grenze des Reichsgebietes, noch 
während ihres Aufenthaltes oder ihrer Reise innerhalb desselben ein Reisepapier 
gefordert werden. Jedoch bleiben sowohl Reichsangehörige wie Ausländer verpflichtet, 
sich auf amtliches Erfordern über ihre Person genügend' auszuweisen. Päfsse oder 
  
1 Siehe z. B. Entsch. des Bundesamts für 
das Heimathwesen, Bd. V, S. 125, und Bd. XII, 
2 Dies ist in § 56 des Unterstützungswohnsitz 
esetes vorgeschrieben. Ob die Voraussetzung des 
gegeben, entscheidet das Gericht des aus- 
weisenden Armenverbandes; s. auch Entsch. d. 
Bundesamts f. d. Heimathwesen, Bd. V, S. 126, 
Bd. VII, S. 141, Bd. X, S. 140, Bd. XV, S. 130. 
2 Sten. Ber. des ersten ordentl. Reichstages 
1867/68, Bd. II, Actenstück Nr. 109, S. 189. 
* Das Bürgerrechtsgeld beruht in 
Preußen auf dem Gesetze vom 14. Mai 1860 
(G.-S. 1860, S. 237), welches Gesetz, soweit es 
die Zahlung von Einzugsgeldern betraf, nicht 
aber, soweit es die Zahlung des Bürgerrechts- 
geldes betrifft, durch Gesetz vom 2. März 1867 
(G.-S. 1867, S. 361) aufgehoben ist. 
* Als verwandte Orden sind die Redemp- 
  
toristen und die Priester vom heiligen Geist 
nicht (mehr) anzusehen (Bekanntmachung vom 
18. Juli 1894, R.-G.-Bl. 1894, S. 503); f auch 
Seydel. Comm. z. Reichsverf., S. 113 ff. 
Das Gesetz, betr. die Verhinderung der 
unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, vom 
4. Mai 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 43) ist zue 
Gesetz vom 6. Mai 1890 (R.-G.-Bl. 1890, S. 65 
aufgehoben, und das Gesetz gegen die gemein- 
gefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie 
vom 21. Oktober 1878 (R.-G.-Bl. 1878, S. 351) 
ist über den 30. September 1890 hinaus nicht 
verlängert worden. Beide Gesetze enthielten 
Beschränkungen der Freizügigkeit. 
7 Durchansich genügende Beweismittel, gleich- 
viel, ob dies amtliche oder private Urkunden Zeu- 
En u. dergl. find; vgl. Riedel, Secht rk., 
. 202, Thudichum, Norddeutsches Bundes- 
recht, S. 551.
	        
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