Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

834. Postwesen. 285 
die Vertheidigung seiner Grenzen oder Küsten gegen Bezahlung einem anderen 
Staate überträgt; daraus folgt nicht, daß, wenn der Staat in seinem Kriegswesen 
die Vertheidigung seines Gebietes selbst bewirkt, er damit eine gewerbliche Unter- 
nehmung betreibt. Auch der Umstand, daß der Staat die Geschäfte der Post und 
Telegraphie nicht unentgeltlich besorgt, beweist nicht, daß diese Geschäfte Handels- 
geschäfte oder gewerbliche Leistungen sind. Denn der Staat leistet auch die Rechts- 
pflege, die streitige wie die nichtstreitige, die bürgerliche wie die strafgerichtliche, 
nicht unentgeltlich, und doch kann Niemand behaupten, daß der Staat, indem er 
gegen Gebühren Testamente, Auflassungen und Kaufverträge durch seine Beamten 
aufnehmen läßt, damit Gewerbe betreibt. Das Entscheidende ist der Zweck, zu 
welchem die Geschäfte vom Staat übernommen sind und betrieben werden; das ist 
bei der Post und Telegraphie nicht der, Geld zu verdienen, sondern den öffentlichen 
Verkehr zu fördern. Nicht als Erwerbs-, sondern als Verkehrsanstalten sind die 
Post= und Telegraphenverwaltungen nach Art. 48 der Reichsverfassung einzurichten. 
Gewerbe ist eine auf Erwerb gerichtete Privatthätigkeit 1. Da die Thätigkeit der 
Post weder eine Privatthätigkeit und noch weniger auf Erwerb gerichtet ist, so 
stellt sie im Rechtssinne keinen Gewerbebetrieb dar. Folglich kann dieser Betrieb, 
da er überhaupt kein Gewerbe ist, auch kein Handelsgewerbe sein, und daraus 
ergiebt sich endlich, daß die Post kein Kaufmann ist, weil sie (5 1 des Handels- 
gesetzbuchs vom 10. Mai 1897) kein Handelsgewerbe betreibt. Die gleiche An- 
sicht wird vertreten von Goldschmidt in der Zeitschrift für Handelsrecht, Bd. 
XXIII, S. 304, Zorn, Staatsrecht, II. S. 13, G. Meyer, Verwaltungsrecht, 
Bd. I, § 177, E. Loening, Verwaltungsrecht, S. 600, Anm. 3, Dambach, 
Comm. zum Reichspostgesetze, S. 6, Sydow, im Postarchiv, § 9, S. 520, 
Cosack, Handelsrecht, S. 98, Arndt, Reichsverfassung, S. 212; entgegengesetzter 
Ansicht find u. A. Laband, Reichsstaatsrecht, 1I, S. 73, Thöl, Handelsrecht, 
6. Aufl., § 30, Gareis, Handelsrecht, S. 76 und 419, Behrend, Handels- 
recht, I, S. 25, und Dernburg, Preußisches Privatrecht, Bd. II, S. 9. Daß 
die Post als Kaufmann anzusehen sei, hat das Reichs-Oberhandelsgericht 
wiederholt und sogar durch Plenar-Beschluß ausgesprochen (Erkenntnisse vom 
30. Januar und 2. Dezember 1874, vom 25. Juni 1877, Entsch. Bd. XII, 
S. 311, Bd. XVII, S. 126, und Bd. XXIII„, S. 10). Die Entscheidung des 
Reichsgerichts vom 26. November 1887 (Entsch. in Civils., Bd. XX, S. 47) 
ließ die Frage offen. Dagegen hat das Oberverwaltungsgericht in den 
Erkenntnissen vom 16. Februar 1878 und 14. November 1887 (Entsch. Bd. IV, 
S. 11, und Bd. XV, S. 427, s. auch Entsch. Bd. XX, S. 403) sich dahin erklärt, 
daß die Post als eine dem gemeinen Besten (den Wohlfahrtsinteressen des Publi- 
cums) dienende öffentliche Verkehrsanstalt und nicht als Gewerbetreibender (also 
auch nicht als Kaufmann) anzusehen sei?. 
Nunmehr muß die Controverse als gesetzlich entschieden angesehen werden; 
denn § 452 des Handelsgesetzbuchs vom 10. Mai 1897 schreibt vor: „Auf die 
Beförderung von Gütern durch die Postverwaltungen des Reichs und der Bundes- 
staaten" (Bayern und Württemberg) „finden die Vorschriften dieses Abschnitts 
keine Anwendung. Die bezeichneten Postverwaltungen gelten nicht als Kaufleute 
im Sinne dieses Gesetzbuchs.“ Da der 6. Abschnitt, in dem § 452 enthalten ist, vom 
„Frachtgeschäft“ handelt, die übrigen Abschnitte und Bücher des Handelsgesetzbuchs 
aber niemals auf den Reichspostbetrieb bezogen sind, z. B. die über Handels- 
register, Handlungsgehülfen, so muß nunmehr auch als erwiesen gelten, daß die Ge- 
schäfte der Post nicht unter das Handelsgesetzbuch fallen, daß sie keine Privat- 
verträge, z. B. keine Werkverdingungsverträge, sind, so wenig, wie 
etwa die Aufnahme eines Testaments durch den Richter ein solcher Vertrag ist. 
Die entgegenstehende Ansicht, z. B. des Reichsgerichts (Erkenntniß vom 9. Februar 1888 
  
1 Oben S. 220; Entsch. des Kammergerichts, Ebenso das vormalige preuß. Ober-Tribunal 
Bd. III. S. 283, Sd. X, S. 188, Bd. XI, im Grk. vom 19. Dezember 1857, Just.-Min.-Bl. 
S. 244, Bd. XII. S. 193, des Oberverwaltungs= 1858, S. 74. 
gerichts, Bd. XVI, S. 87, Bd. XVII, S. 252.
	        
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