314 Sechstes Buch. Berkehrswesen.
geworden. Diese Verkehrsordnungen gelten nicht für die sog. Klein- und Lokal-
bahnen, welche der Landesgesetzgebung unterstehen. Rückfichtlich dieser bestimmt
§ 473, daß an Stelle der Eisenbahn-Verkehrsordnung die von den bez. Landes-
dehörden auferlegten Beförderungsbedingungen maßgebend und daß § 453 nur in-
soweit auf solche Bahnen Anwendung finden soll, als daß sie die Uebernahme von
Gütern zur Beförderung nicht verweigern dürfen. Auf nicht dem öffentlichen Verkehre
dienende Bahnen finden diese Vorschriften überhaupt nicht Anwendung.
Neben dem Handelsgesetzbuche und neben der vom Bundesrathe erlassenen
Verkehrsordnung finden auf die dem allgemeinen Verkehre dienenden (besonders be-
zeichneten) Eisenbahnen noch Anwendung die internationalen Abkommen, namentlich
der vom Bundesrath und Reichstag genehmigte völkerrechtliche, mit Gesetzeskraft
ausgerüstete (sog. Berner) Vertrag vom 14. Oktober 1890 (R.-G.-Bl. 1892,
S. 793)1, der auf drei Jahre abgeschlossen, sich aber bei nicht rechtzeitiger Kün-
digung um je drei Jahre wieder verlängert. Dieser Vertrag gilt auch für
Bayern. Das Kündigungsrecht steht nur dem Reiche, nicht Bayern zu. Für
den wechselseitigen Verkehr zwischen den Eisenbahnen Deutschlands und Oesterreich-
Ungarns gelten besondere Abmachungen (R.-G.-Bl. 1895, S. 139), desgleichen für
den wechselseitigen Verkehr mit Oesterreich-Ungarn, den Niederlanden und der
Schweiz (R.-G.-Bl. 1894, S. 113 ff..
Die Betriebs= und Verkehrsordnungen gelten auch für Bayern, obgleich die
Art. 42 bis 45 der Reichsverfassung, auf Grund deren sie erlassen find, auf Bayern
nicht anwendbar find (Art. 46, Abs. 2); sie gelten, weil sie Bayern bei sich gelten
lassen wollte und eingeführt hat?.
Art. 44 der Reichsverfassung schreibt vor, daß die Eisenbahnverwaltungen
verpflichtet sind, die für den durchgehenden Verkehr und zur Herstellung in
einander greifender Fahrpläne nöthigen Personenzüge mit entsprechender Fahr-
geschwindigkeit, desgleichen die zur Bewältigung des Güterverkehrs nöthigen Güter-
züge einzuführen, auch directe Expeditionen im Personen= und Güterverkehr, unter
Gestattung des Uebergangs der Transportmittel von einer Bahn auf die andere,
gegen die übliche Vergütung einzurichten. Art. 44 gilt nicht für Bayern.
Die Ueberwachung der Ausführung des Art. 44 steht gemäß Art. 17 der
Reichsverfassung dem Kaiser zu, der fie durch das Reichs-Eisenbahnamt ausübt.
Dieser Behörde sind alle Fahrpläne mit allen Abänderungen rechtzeitig anzuzeigen.
Das Reichs-Eisenbahnamt trifft die zur Ausführung des Art. 44 erforderlichen An-
ordnungen, gegen welche der Recurs an das durch richterliche Mitglieder verstärkte
Reichs-Eisenbahnamt statthaft ist s.
Nach Art. 45, Abs. 1 der Reichsverfassung steht dem Reiche die Controle über
das Tarifwesen zu. Das Recht der Controle schließt die Befugniß in sich,
Kenntniß zu nehmen, auch die, Mittheilung von allen Tarifen und Tarif-
änderungen zu erhalten", nicht die, einen Zwang auf die einzelnen Eisenbahnen
zur Herabsetzung ihrer Tarise auszuüben. Nun fährt zwar Art. 45 fort: „Das-
selbe (das Reich) wird namentlich dahin wirken: — 2) daß die möglichste Gleich-
mäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, insbesondere, daß bei größeren
Entfernungen für den Transport von Kohlen, Koaks, Holz, Erzen, Steinen, Salz,
Roheisen, Düngungsmitteln und ähnlichen Gegenständen ein dem Bedürfniß der
Landwirthschaft und Industrie entsprechender ermäßigter Tarif, und zwar zunächst
der Einpfennig-Tarif eingeführt werde.“ Allein auch hierin ist nicht das Recht
enthalten, die Eisenbahnen zu irgend welchen Tarifermäßigungen zu zwingen;
sondern nur „die Tendenz — wenn es ihm (dem Reich) geeignet erscheint, die be-
theiligten Regierungen zu einer Einwirkung, soweit sie ihnen gesetzlich zusteht, auf
ihre Eisenbahnen im Sinne des Art. 42 zu veranlassen 5.“ In dem Rechte,
1 v. Liszt, Das Bölkerrecht, Berlin 1898, Delbrück am 1. April 1867 im verfassungs-
Verlag von O. Häring, S. 160 f. berathenden Reichstage 1867, S. 507.
iehe Seydel, Comm., S. 281. 5 So Selbu# l. c., und bei Bezold,
2 Siehe auch Laband, II, S. 112. Maaterialien, 1, S. S214.
· Siehe die Reden von Michaelis und