Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

6 35. Eisenbahnwesen. 315 
Betriebsreglements zu erlassen, welches Ziff. 1 in Art. 45 giebt, ist nicht das 
Recht enthalten, die Tarife zu bestimmen, weil die Betriebsreglements herkömmlich 
und von Anfang nicht die Tarife betrafen. Einen directen erzwingbaren Einfluß 
auf die Tarife hat sonach das Reich nicht durch Art. 45 erhalten, und übt ihn 
thatsächlich auch nicht aus. 
Bezüglich der württembergischen Eisenbahnen ist in der Verhandlung 
vom 25. November 1870 (B.-G.-Bl. 1870, S. 657) unter Nr. 2 zu Art. 45 der 
Verfassung anerkannt, daß bei ihren Bau-, Betriebs= und Verkehrsverhältnissen 
nicht alle in Art. 45 aufgeführten Transportgegenstände in allen Gattungen von 
Verkehren zum Einpfennigtarife befördert werden können. 
Nach Art. 46 find die Eisenbahnverwaltungen, außer den bayerischen, ver- 
pflichtet, bei eintretenden Nothständen, insbesondere bei ungewöhnlicher 
Theuerung der Lebensmittel, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, 
Hülsenfrüchten und Kartoffeln, zeitweise einen dem Bedürfniß entsprechenden, von 
dem Kaiser auf Vorschlag des Bundesrathsausschusses für Eisenbahnen, Post und 
Telegraphen festzustellenden niedrigen Specialtarif einzuführen. Es ist hiernach 
selbstverständlich, daß der Kaiser nur, wenn und soweit er mit dem Bundesraths- 
ausschusse übereinstimmt, die fragliche Anordnung erlassen kann, und daß diese An- 
ordnung endgültig wie unanfechtbar ist 1. Nur dahin ist die Anordnung durch 
Art. 46 eingeschränkt, daß der festgesetzte Specialtarif nicht unter den niedrigsten 
auf der betreffenden Bahn für Rohproducte geltenden Satz herabgehen darf. Die 
Anordnung richtet sich an die Bahnverwaltungen, welche durch Aenderung ihres 
Tarifs ihr unweigerlich Folge zu leisten haben. Im Ungehorsamsfalle haben sie 
Zwangsmaßnahmen ihrer Landesregierungen zu gewärtigen. 
Wenn auch die in den Art. 42, 43, 44 und 45 der Reichsverfassung ent- 
haltenen Verordnungsbefugnisse des Bundesraths nicht für Bayern gültig 
sind (Art. 46, Abs. 2), so steht doch gemäß Art. 46, Abs. 3 dem Reiche auch 
gegenüber Bayern das Recht zu, im Wege der Reichsgesetzgebung einheit- 
liche Normen für die Construction und Ausrüstung der für die Landes- 
vertheidigung" wichtigen Eisenbahnen aufzustellen. Der Ausdruck „einheitliche 
Normen“ bedeutet, daß das Reichsgesetz keine besonderen Normen für Bayern, sondern 
nur gemeinsame Normen fur die Construction und Ausrüstung aller deutschen 
Bahnen erlassen kann E. 
Im Falle des Krieges, schon bei Kriegsgefahr und selbst ohne diese, zu jedem 
Zwecke der Vertheidigung, also auch zu allen Dislocationen der Truppen im 
Frieden", schreibt Art. 47 besondere Pflichten den Eisenbahnen, auch den bayerischen, 
vor. Die Eisenbahnen haben den Anforderungen „der Behörden des Reichs“ (das 
find in diesem Sinne die Militärbehörden, auch wenn es Landesverwaltungs- 
behörden: preußische, bayerische, sächsische, württembergische sind) in Betreff der 
Benutzung der Eisenbahnen unweigerlich Folge zu leisten. Letzteres bedeutet, 
daß sie sofort Folge zu leisten haben und hiervon durch eine etwaige Vorstellung 
nicht befreit find. Insbesondere — schreibt Art. 46, letzter Satz vor — ist das 
Militär und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu befördern und 
zwar zu den einseitig vom Reiche, im Frieden vom Bundesrathe festzusetzenden 
„auf sämmtlichen bei dieser Beförderung betheiligten Eisenbahnen zu gleichen 
Sätzen“. Letztere Worte entsprechen der Auslegung, welche Delbrück im ver- 
sassungsberathenden Reichstage dem Worte „gleichen“ auf die Anfrage des Ab- 
geordneten Reichenheim gegeben hat (Sten. Ber. S. 509, Bezold, Mate- 
rialien, I, S. 217). Nähere Ausführung hat Art. 47 bezüglich der Kriegs= 
leistungen im Gesetze vom 13. Juni 1873 (R.-G.-Bl. 1873, S. 129), §§ 28 
— — 
Ebenso Seydel, Comm., S. 280. befahr- einzuschalten hinter Kriegsmaterial, da 
* Nicht für den gemeinsamen Verkehr, von der Reichstag bei seinen Beschlüssen zu Art. 42f. 
in Art. 41 die Rede ist. den Eisenbahnen besondere Lasten auferlegt habe, 
* Seydel, Comm., S. 281. wurde im verfassungsberathenden Reichstage ab- 
4 Der Antrag des Abgeordneten Evans, glehnt (Sten. Ber. S. 508 ff., Bezold, I, 
aus Gerechtigkeitsgefühlen die Worte „bei Kriegs-S. 216 f.). -
	        
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