Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 36. Das Reichshaushalts-Etatsgesetz. 319 
abgelehnt und ist dann erst bei der Schlußberathung vom Grafen Eberhard 
zu Stotl erg am 16. April 1867 beantragt und ohne Discussion angenommen 
worden 7. 
Der auf den Antrag Miquel angenommene heutige Art. 69 der Reichs- 
verfassung deckt sich mit Art. 99 der Preußischen Verfassung; aber es findet sich 
eine, wie sich zeigen wird, erhebliche Abweichung, insoweit in Satz 2 die Worte 
„nach folgenden Grundsätzen“ eingeschaltet sind. Diese Grundsätze sind in 
Art. 70 aufgeführt und sollen, wie demnächst zu zeigen ist, analog dem Art. 109 
der Preußischen Verfassung klarstellen, daß der Reichstag ein Steuer- 
verweigerungsrecht nicht hat, daß die Zölle und die Reichssteuern nicht 
bloß auf je ein Jahr bewilligt find, daß ihre Erhebung nicht von ihrer Einstellung 
in das Etatsgesetz abhängig ist, daß fie vielmehr solange fortzuerheben sind, bis 
sie durch ein Gesetz, also unter Zustimmung vom Kaiser (Art. 5, Abs. 2 der Reichs- 
verfassung) und vom Bundesrath (Art. 5, Abf. 1 das.), aufgehoben sind. 
Die Worte „nach folgenden Grundsätzen“" fehlen in dem Antrage 
Dunckers, welcher das alljährliche Steuerbewilligungsrecht, „das ABC des Con- 
stitutionalismus“, forderte, der aber abgelehnt wurde 3; ebenso wie sein Antrag: 
„Steuern und Abgaben für den Bund dürfen nur, soweit sie in dem Bundeshaushalts- 
Etatsgesetz ausgenommen oder durch besondere Bundesgesetze angeordnet find, er- 
hoben werden.“ 
Da die Vorschriften der Reichsverfassung über das Staatshaushalts--Etatsgesetz 
ihrem Wortlaute nach sich an diejenigen der Preußischen Verfassung anschließen 
und da bei ihrer Berathung und Beschließung Freunden wie Gegnern das 
preußische Etatsrecht fort und fort vor Augen stand, ist es nothwendig, auf 
dieses näher einzugehen. Das preußische Recht läßt sich kaum anders wie im 
Zusammenhang mit dem englischen und französisch-belgischen Rechte vor- 
tragen, weil diese Rechte bei Berathung und Beschließung der Preußischen Ver- 
fassung fortdauernd erwähnt und berücksichtigt wurden; weil, anders ausgedrückt, 
der Charakter des preußischen Budgetrechts erst klar wird aus Dem, was von dem 
englischen und dem französisch-belgischen Staatsrecht nicht angenommen werden 
sollte und nicht angenommen worden ist. 
Englisches Recht. 
Von Rudolf Gneist wird das englische Budgetrecht in folgender Weise 
vorgetragen und in Deutschland geglaubt?: In England habe das Parlament 
nicht das Recht, beliebig Steuern und Ausgaben zu verweigern, vielmehr ständen 
die meisten Steuern und Ausgaben gesetzlich fest, ihre Bewilligung durch das 
Parlament sei unnöthig, geschehe auch nicht; nur ein verhältnißmäßig unbedeutender 
Theil der Steuern und Einnahmen unterliege der alljährlichen Bewilligung. Das 
Unterhaus habe nicht das Recht, das Budget im Allgemeinen oder gesetzlich be- 
stehende Steuern oder gesetzlich feststehende Ausgaben im Besonderen zu verweigern. 
Auch seien „bepackte“" Geldbewilligungen in England unzulässig. Das Budgetrecht 
könne nicht geübt werden, um etwa Ministerien zu stürzen oder der Geldbewilligung 
fernliegende Zwecke durchzusetzen. Die Auffassung, daß das Parlament alljährlich 
alle Steuern und alle Ausgaben zu bewilligen habe, sei specifisch franzöfisch- 
belgisches Recht. 
Diese Darstellung muß als unrichtig bezeichnet werden. Das englische Recht 
ist vielmehr auch im Jahre 1849 bei den Berathungen der Preußischen Verfassung 
durch Gegner und Freunde, z. B. v. Bismarck-Schönhausen, Simson, dahin 
— — 
1 Drucksachen Nr. 116, Sten. Ber. S. 725,|/24. September 1849 in der II. preuß. Kammer. 
Bezold, II, S. 711. 5 Z. B. Gneist, Gesetz und Budget, Berlin 
Drucks. Nr. 83, bei Bezold, II, S. 514.|1879, S. 92, u. a. O. Gneist, Der Rechts- 
6 — Ber. S. 655, bei Bezold, II, staat, GEneistz Englisches Verwaltungsrecht, I, 
* „Die Berufungen auf England sind unser *1P B. von Zorn, Reichsstaatsrecht, S. 466 
Unglück“, v. Bismarck-Schönhausen am Anm. 53. "
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.