9 36. Das Reichshanshalts-Etatsgesetz. 329
Schließlich ist zu beachten, daß das Etatsgesetz in Preußen nach wie vor
Erlaß der Verfassung nicht das Verhältniß zwischen dem Staate und seinen Gläubigern
und Schuldnern, sondern nur das Verhältniß der Staatsregierung zum Landtage
betrifft. Denn das Etatsgesetz lautet nur dahin, daß die Einnahmen und Ausgaben,
wie folgt, festgesetzt werden, nicht dahin, daß irgendwer gewisse Leistungen an den
Staat vornehmen muß oder beanspruchen kann . Demgemäß spricht § 8 des
Komptabilitätsgesetzes aus: „Durch die Etats werden Privatrechte oder Privat-
pflichten weder begründet noch aufgehoben.“
Das Budgetrecht der Reichsverflassung.
Bei Berathung der heutigen Artikel 69 ff. der Reichsverfassung wurde fort-
dauernd auf das preußische Budgetrecht Bezug genommen. Die deutsche Fort-
schrittspartei wollte das in Preußen fehlende Steuerbewilligungsrecht in die
Verfassung aufgenommen wissen. Dahin sprachen sich bei der Generaldebatte über
die Verfassung wie zu den Artikeln 65 ff. des Entwurfs ihre Redner (Schulze-
Delitzsch, Dr. Waldeck, Duncker u. N.) aus. Waldeck führte am 8. April
1867 aus?: Die Regierung soll im Einklange mit dem Volke regieren; dies sei
das constitutionelle Princip; das Mittel, diesen Einklang zu erzwingen, sei das
Steuerbewilligungsrecht. Habe die Regierung sich durch mehrere Auflösungen
überzeugt, daß sie nicht im Einklange mit dem Willen des Volkes ist, so habe sie
abzudanken. Jede Partei, die sich liberal nennt, dürfe die Verantwortung nicht
auf sich nehmen, „dieser vollendeten Exportation des preußischen Budgetrechts, des
Budgetrechts der Preußischen Verfassung (d. h. also dem Nichteinnahmebewilligungs-
recht), hier ihre Sanction zu ertheilen.“ Umgekehrt wünschte die conservative Partei
gerade die Exportation der Preußischen Verfassung; fie erklärte: „Wir sind durchaus
nicht geneigt, dem Ausgabenbewilligungsrecht auch noch das Einnahmebewilligungs-
recht hinzuzufügen“ (Worte des Dr. Wagener-Neustettin). „Des Pudels Kern
aller Anträge der Linken — „es mag verstanden sein von den Herren Antrag-
stellern oder es mag nicht verstanden sein“ — sei das Ziel, das die Liberalen
solange mit Bewußtsein und nach ausdrücklicher Aussprache angestrebt haben, „nicht
bloß das Ausgabe-, sondern auch das Einnahmebewilligungsrecht in ihre Hände zu
bringen.“ Dr. Gneist“ entwickelte hierauf seine Budgettheorie dahin, „daß das
Budgetrecht durch Gesetze, z. B. über die Wehrpflicht, begrenzt werden müsse,
innerhalb dieser Schranken bleibe der Majorität der Volksvertretung ein Spiel-
raum von Millionen gleich Anfangs, der mit dem Fortschritt der Bedürfnisse
wachse, innerhalb dieser Grenze bleibe die gewaltige Befugniß, über die gerechte
und billige und angemessene Vertheilung dieser Geldmassen mit zu beschließen.“
Dr. Friedenthalé erklärte, er halte die Feststellung des Budgets nicht für einen
Act der Gesetzgebung, sondern für einen Act der Verwaltung, und die Theilnahme
der Landesvertretung an der Feststellung des Budgets für einen Act der Selbst-
verwaltung, für einen Act der entscheidenden Theilnahme an der Staatsverwaltung
in der höchsten Sphäre. Der entgegengesetzte Standpunkt, welcher das Budgetrecht
gewissermaßen als ein Hoheitsrecht der Landesvertretung auffasse, sei eine Abstraction
von englischen Verhältnissen. Dr. von Gerberé führte aus: Ueber das Budget-
recht bestehen zwei verschiedene Ansichten! „Die eine Ansicht geht dahin, daß das
constitutionelle Budgetrecht bestehe in der Befugniß der Volksvertretung, periodisch
die Ansätze des Staatshaushalts einer öffentlichen Controle zu unterziehen, zu
prüfen, ob diese Ansätze den bestehenden Gesetzen, den gesetzlichen Einrichtungen,
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1 Dieser in der Theorie zuerst von Arndt, 2 Sten. Ber. des verfaslungsberathenden
Le., serner Preuß. Verfafsung, 3. Aufl., S. 155 ff. Reichstages 1867, S. 1283, bei Bezold, II,
ausgestellte Satz kann nunmehr als unstreitig S. 489 ff.
gelten; s. auch Erk. des Reichsger. vom 9. Apri 4 Sten. Ber. S. 630, bei Bezold, II, S. 630.
885, Entsch. in Civils., Bd. XIII, S. 253. 5 Sten. Ber. S. 647, bei Bezold, II, S. 536.
e bue Ber. S. 641 ff., bei Bezold, II, * Sten. Ber. S. 654, bei Bezold, II, S.558.