Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

330 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
den Nothwendigkeiten und Nützlichkeiten des Staates entsprechen, und in dieser 
Richtung in einer tiefgehenden Einwirkung mit der Regierung den Staatshaushalt 
zu reguliren. Eine andere Ansicht ist die folgende: Das Recht des Budgets seie 
ein Recht der parlamentarischen Macht, ein Recht des Parlaments, dadurch, daß 
man periodisch die sämmtlichen Staatsinstitutionen in Frage ziehen könne, eine 
politische Einwirkung zu äußern und gegenüber der Regierung die Stellung des 
Parlaments in seiner ganzen Machtfülle zur Geltung zu bringen. Diese Ansicht, 
welche das Budgetrecht von seiner eigentlichen Basis, nämlich dem Gebiete der 
Finanzverwaltung und der Staatswirthschaft, entfernt und auf eine völlig 
andere, auf eine rein politische Basis hinstellt, ist bei Weitem am meisten ver- 
breitet. Es ist die Ansicht, welche in der allgemeinen liberalen Theorie des Con- 
stitutionalismus — man kann wohl sagen fast ausnahmslos — herrschend ist, so 
sehr, daß man hört, in ihr ruhe der ganze Constitutionalismus, fie sei, wie es 
hier gesagt ist, das ABC desselben. — —"“ — — „Meiner Ueberzeugung nach 
ist das bestehende Budgetrecht in unserem gemeinen deutschen Staatsrecht — ich 
sehe ab von der Preußischen Verfassung — lediglich dasjenige, was ich als Inhalt 
der ersten Ansicht hingestellt habe."“ 
Nach Schluß der Diskussion wurden darauf nach Ablehnung u. A. der Anträge 
Duncker-Berlin die Anträge Miquel, d. h. die heutigen Artikel 69 und 70 
der Verfassung, angenommen 2. Artikel 69 der Reichsverfassung bedeutet hiernach 
wie Artikel 99 der Preußischen Verfassung seinem Sinn und Wortlaute nach, daß 
alle Einnahmen (auch die auf Gesetz beruhenden) und alle Ausgaben (auch die für 
die Militärverwaltung und die auf Gesetz beruhenden) alljährlich „für jedes Jahr“ 
veranschlagt und auf den Reichshaushaltsetat gebracht werden, und daß dieser 
Etat vor Beginn des Etatsjahres durch ein Gesetz festgestellt werden muß. Die 
Verfassung sagt nicht, daß nur die Einnahmen und nur die Ausgaben gemacht 
werden dürfen, welche im Staatshaushaltsetat veranschlagt und festgestellt find. 
Sie besagt nicht, daß die Einstellung von Einnahmen und Ausgaben in den Etat 
dritte Personen verpflichtet oder berechtigt. Auch das Reichshaushalts-Etatsgesetz 
berührt Rechte und Pflichten Dritter nicht, so wenig wie das preußische Staats- 
haushalts-Etatsgesetz; es begründet solche nicht, hebt sie nicht auf und verändert 
sie nicht. Es ist nur ein Internum zwischen Reichsregierung und Reichstag. 
Hieraus ergiebt sich, daß der Anspruch eines Beamten auf Gehalt nicht auf der 
Etatsposition, sondern auf der Anstellung beruht. Treffend sagte daher Fürst 
Bismarck im Reichstage am 1. Dezember 1885: „Wenn Sie mir mein Gehalt 
streichen, so werde ich einfach vor Gericht klagen, und das Reich wird verurtheilt 
werden, solange ich Reichskanzler bin, mir mein Gehalt zu bezahlen.“ Werden 
Ausgaben geleistet, zu deren Leistung eine Rechtspflicht für den Staat nicht besteht, 
so können sie vom Empfänger zurückgefordert und gegen den auszahlenden Beamten 
zum Defect gestellt werden, gleichviel ob sie im Etat vorgesehen sind oder nicht. 
Werden dagegen Ausgaben geleistet, zu deren Leistung eine Rechtspflicht für den 
Staat besteht, so können sie vom Empfänger niemals zurückgefordert, sie können 
indeß gegen die auszahlende Behörde zum Defect gestellt werden, wenn sie eigen- 
mächtig und ohne budgetgemäße Genehmigung handelt oder nicht hinterher eine 
solche erhalten hat. 
Die Ablehnung des Antrages Duncker-Berlin und die Annahme des Art. 69 
in seiner jetzigen Form beweisen, daß der Reichstag nicht beliebig, nicht aus 
allgemein politischen Gründen, nicht z. B., um einen Reichskanzler zum Abgange 
zu zwingen, den Staatshaushaltsetat feststellen darf; vielmehr muß der Reichs- 
haushaltsetat „nach folgenden Grundsätzen“, d. h. nach Maßgabe des 
Artikels 70, festgestellt werden. Art. 70 schreibt nun vor, daß zur Be- 
streitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben zunächst die etatsmäßigen Ueberschüsse 
der Vorjahre, sowie die aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern 
und aus dem Post= und Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen 
  
1 Siehe oben S. 319. 2 Sten. Ber. S. 655.
	        
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