Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

332 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
mit Bewilligung des Reichstages geleistet werden müssen. Es kann dies schon 
aus der „Exportation“ des preußischen Budgetrechts, indirekt auch daraus gefolgert 
werden, daß die Reichsregierung beim Verfassungsentwurfe beantragt hatte, die 
Ausgaben für Heer und Marine von dem Ausgabenbewilligungsrecht des Reichs- 
tages für immer auszunehmen; es galt dies ferner bei Berathung der Verfassung 
als unstreitig und ist unzweideutig in dem in zweiter Lesung debattelos an- 
genommenen Art. 71, Abs. 1 ausgesprochen: „Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden 
in der Regel für ein Jahr bewilligt, können jedoch in besonderen Fällen auch für eine 
längere Dauer bewilligt werden." 
Alle Ausgaben (nach Ablauf der Uebergangszeit — Art. 60 —, auch die für 
das Heer, auch alle auf Gesetz beruhenden, selbst alle nothwendigen, z. B. aus das 
Reich verurtheilenden Gerichtserkenntnissen folgenden Ausgaben) werden vom Reichs- 
tage bewilligt, wie in Preußen von dem Abgeordnetenhause. Es fragt sich, können 
der Reichstag und das preußische Abgeordnetenhaus auf Gesetzen beruhende oder 
sonst nothwendige Ausgaben willkürlich, z. B. aus allgemeinen politischen Gründen, 
verweigern, um einen Wechsel in der Regierung herbeizuführen, und welche Folgen 
hat eine solche willkürliche Verweigerung? Die Antwort hierauf ergiebt sich aus 
der Natur der Sache. Die Verweigerung der Einnahmen, namentlich der Steuern, 
hat eine ganz andere praktische und politische Bedeutung. Sicher wird weder ein 
Beamter, noch ein Soldat, noch ein anderer Gläubiger sich deswegen weigern, 
Zahlungen des Staates anzunehmen, weil sie vom Parlament nicht bewilligt find. 
Insoweit macht die Ausgabenverweigerung keine Schwierigkeiten. Die Verweigerung 
der Steuern soll aber und kann wenigstens die Aufforderung sein, nichts an den 
Staat zu zahlen. So exemplificirte Dr. Waldeck im Reichstage auf England, 
wo man einst überall aufschrieb: „Hier werden keine Steuern gezahlt“, nur um 
die Wahlreform durchzusetzen. Nach dem Steuerverweigerungsbeschlusse der preußischen 
Nationalversammlung am 15. November 1848 befahl z. B. der Oberpräsident von 
Schlefien die Schließung aller Steuererhebungen und verbot die Abführung von 
Geldern an die Centralkasse. Die Verweigerung der Steuern ist gefährlich, die der 
gesetzlich feststehenden Ausgaben eine ungefährliche Demonstration, welche der Kaiser 
und die verbündeten Regierungen unbeachtet lassen werden. Indeß handelt es sich 
hierbei um eine reine Doctorfrage. Es ist dem Reichstage so wenig wie dem 
preußischen Abgeordnetenhause jemals eingefallen, gesetzlich feststehende Ausgaben zu 
verweigern. Solche Ausgaben bedürfen zwar der vorgängigen oder nachträglichen 
Genehmigung des Reichstages oder des Abgeordnetenhauses, andererseits sind der 
Reichstag wie das Abgeordnetenhaus verpflichtet, die Bewilligung zu ertheilen. 
Eine solche Bewilligung bedeutet hier das Anerkenntniß, daß die Ausgaben als 
gesetzlich feststehend anerkannt werden. Daß der Reichstag verpflichtet ist, gesetzlich 
feststehende Ausgaben zu bewilligen, ist z. B. bei Berathung des Flottenorgani- 
sationsgesetzes im Jahre 1898 von den Mitgliedern aller Parteien, selbst den 
Socialdemokraten, zugestanden worden 1. Man spricht insoweit von einer Bindung 
des Parlaments; das Parlament ist gesetzlich gebunden, die auf Gesetz beruhenden 
Ausgaben zu leisten. Man spricht von einer moralischen Bindung, z. B 
wenn es sich um eine fernere Rate einer in einer früheren Rate bewilligten Aus- 
gabe, z. B. für ein Schiff, eine Kaserne, handelt. Da der Reichstag bei seinem 
Ausgabenbewilligungsrecht an die bestehenden Gesetze gebunden ist, da anderer- 
seits die Reichsregierung die Nichtbewilligung gesetzlich feststehender Ausgaben als 
eine bloße Demonstration ansehen muß, da ohne den Willen der verbündeten 
Regierungen Gesetze nicht abgeändert werden können, da ferner die Reichsregierung 
ohne und selbst gegen den Reichstag gesetzlich feststehende Ausgaben den Gläubigern 
des Staates leisten muß und sie sich diesen gegenlber mit Erfolg nicht auf den Etat 
oder das Nichtzustandekommen des Etatsgesetzes berufen kann, so folgt daraus, daß 
die Reichsregierung „tacked bills“ oder die Abänderung bestehender Gesetze durch 
den Reichshaushaltsetat sich nicht gefallen zu lassen braucht. Demgemäß sagte der 
— — 
1 Arndt, in der Deutschen Juristenzeitung 1898, S. 70.
	        
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