Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

336 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
Verwaltungsactes die Gesetze beobachtet werden müssen; das Abgeordnetenhaus sei 
daher nicht (auch nicht formell) befugt, auf Gesetzen oder auf gesetzlich begründeten 
Einrichtungen des Staates beruhende Einnahmen oder Ausgaben zu verweigern. 
Komme ein Etatsgesetz nicht zu Stande, so sei die Staatsregierung so berechtigt 
wie verpflichtet, alle aus Gesetzen wie auf gesetzlich begründeten Einrichtungen des 
Staates beruhende Einnahmen wie Ausgaben zu machen. Hierin, wie in der 
Regierung ohne Etatsgesetz liege nichts Verfassungswidriges, nichts, was einer 
Indemnität bedürfe. Seydel! argumentirt noch weiter: Die Beschränkungen, 
welche sich der Herrscher zu Gunsten eines Parlaments auferlegt, seien Selbst- 
beschränkungen. Die Voraussetzung, von welcher er hierbei ausgeht, ist die, daß 
das beschränkende Organ, das er geschaffen hat, den Dienst nicht versagt. Eine 
Versagung des Dienstes — sei es eine schuldhafte oder nicht — liege natürlich 
nicht da vor, wo das Parlament nicht zustimmt, sondern nur da, wo über einen 
Act, der staatsrechtlich nothwendig geschehen muß, die verfassungsmäßig erforder- 
liche Verständigung mit dem Parlamente nicht erzielt werden kann. Dies treffe 
auf das Mißlingen der Budgetfeststellung zu. In solchem Falle bleibe dem Herrscher 
nichts Üübrig, als daß er auf denjenigen staatsrechtlichen Satz zurückgreife, der über 
aller Selbstbeschränkung stehe, auf den Satz, den z. B. Titel II, § 1 der bayerischen 
Verfassungsurkunde mit den Worten ausdrückt: „Der König — vereinigt in sich 
alle Rechte der Staatsgewalt.“ Da die Fortsetzung dieses Satzes: „und übt fie 
unter den von ihm gegebenen, in der Verfassungsurkunde festgestellten Bestimmungen 
aus“, für ihn unvollziehbar geworden ist, halte er sich an den ersten Theil des 
Satzes, der jedenfalls vollziehbar sei. Das sei ein Handeln im Nothstande. Wenn 
es sich ereignet habe, daß die Verwaltung ohne Etatsgesetz geführt werden mußte, 
so bedürfe es hierfür einer nachträglichen Indemnität oder dergl. nicht. 
Es ist dieser Theorie zuzugeben, daß das Parlament gebunden, verpflichtet 
ist, alle zur Ausführung der Gesetze und der gesetzlich bestehenden Staatseinrich- 
tungen nothwendigen Ausgaben zu bewilligen. Es ist auch richtig, daß die Staats- 
regierung die dem Staate obliegenden Pflichten ohne Etatsgesetz erfüllen muß; da- 
gegen bedarf es nach dem preußischen Staatsrecht der Bewilligung aller Ausgaben 
durch den Landtag, sei dies auch nur, um festzustellen, daß sie gesetzlich nothwendig 
sind. Da dies bei Berathung der Preußischen Verfassung durch die Staats- 
regierung ausdrücklich zugestanden, da dies die Krone in der Thronrede am 
5. August 1866 und im Gesetze vom 21. September 1866 erklärt hat, so muß 
behauptet werden, daß zu jeder Ausgabe die vorgängige oder nachträgliche Ge- 
nehmigung des Landtages erforderlich ist. Es ist aber andererseits, wenn eine 
solche Genehmigung nicht oder nicht rechtzeitig erlangt werden kann, keineswegs 
dem Geiste oder den Vorschriften der Preußischen Verfassung entsprechend, daß 
Krone und Herrenhaus dem Abgeordnetenhause nachzugeben haben, namentlich 
nicht, daß die Krone, wenn die Auflösung des Abgeordnetenhauses ohne anderes 
Ergebniß bleibt, nach dem Willen der Abgeordnetenhausmehrheit regieren, den Etat 
hiernach abändern und die Minister hiernach ernennen muß. 
Die Staatsregierung darf im Falle des Nichtzustandekommens des Etats in 
Preußen auch dem Landtage gegenüber auf Grund Art. 109 der Verfassungs- 
urkunde (und muß, da sie die Gesetze auszuführen hat) die bestehenden Abgaben 
und Einnahmen forterheben lassen. Sie muß alle Forderungen des Staates ein- 
ziehen, mögen diese sich auf Gesetze zurückführen lassen oder nicht, sie muß auch in 
solchem Falle den Gläubigern des Staates (z. B. Soldaten, Beamten, Coupons- 
inhabern) alle begründeten Zahlungen leisten, mögen diese auf formellen Gesetzen 
beruhen oder nicht. Sie ist aber dem Landtage für alle Ausgaben verantwortlich 
und bedarf der Indemnität, eines internen Actes der Staatsgewalten dafür, daß 
sie der Verfassung zuwider ohne Etatsgesetz überhaupt irgend welche Ausgaben ge- 
leistet hat. Nicht die Ausgabe im Einzelfalle, nicht die Verfügung über Staats- 
mittel Dritten gegenüber enthält eine Verfassungsverletzung; diese liegt lediglich in 
dem Umstande, daß die Staatsregierung überhaupt ohne Etatsgesetz Ausgaben leistet. 
  
  
1 Comm., zur Reichsverfassung, S. 396.
	        
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