360 Siebentes Buch. Finanzwesen. „
durch die Verträge geschehen ist, den Einzelstaaten oder den Gemeinden die Be-
fugniß zur Auferlegung indirekter Steuern oder zur Erhebung von Chaufsee= und
Brückengeldern zu entziehen oder um sie in der Verwaltung der Steuern und in der
Einrichtung ihrer Behörden noch mehr zu beschränken, ein verfassungsänderndes
Gesetz nöthig ist 1.
Zu beachten bleibt, daß die Frage, ob eine Aenderung im Wege des einfachen
oder nur des verfassungsändernden Gesetzes erfolgen kann, ein Internum des Bundes-
raths ist, und daß jede Aenderung eines Gesetzes, das auf das Zoll= oder gemein-
schaftliche Steuerwesen Bezug hat, nur unter Zustimmung der Krone Preußen gültig
erfolgen kann 2.
Sonderrechte, auf welche Art. 78, Abs. 2 Anwendung findet, find die Vor-
schriften der Zoll- und Handelsverträge, welche bestimmte Rechte einzelner Bundes-
staaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit bestimmen, z. B. daß in Norddeutsch-
land keine Uebergangsabgabe auf Wein oder Traubenmost gelegt werden darfs.
Diese können also nur unter Zustimmung des berechtigten Staates aufgehoben oder
verändert werden.
Art. 33 der Reichsverfassung, daß Deutschland ein Zoll- und Handelsgebiet
bildet, und daß alle Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates
befindlich find, in jeden anderen Bundesstaat eingeführt und in letzterem einer
Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inländische Er-
zeugnisse einer inneren Steuer unterliegen, ist in den Zollverträgen theilweise
ergänzt und theilweise abgeändert worden. Art. 4 des Vertrages vom 8. Juli 1867
bestimmt in Abs. 2: „Die Freiheit des Handels und Verkehrs zwischen den ver-
tragenden Theilen soll auch dann keine Ausnahme leiden, wenn bei dem Eintritte
außerordentlicher Umstände, insbesondere auch bei einem drohenden oder aus-
gebrochenen Kriege, einer von ihnen sich veranlaßt finden sollte, die Ausfuhr gewisser
im inneren freien Verkehr befindlichen Erzeugnisse oder Fabrikate in das Ausland
für die Dauer jener außerordentlichen Umstände zu verbieten."“
Abs. 3: „In einem solchen Falle wird man darauf Bedacht nehmen, daß ein
gleiches Verbot von allen vertragenden Theilen erlassen werde."“
Abs. 4: „Sollte jedoch einer oder der andere derselben es seinem Interesse nicht
angemessen finden, auch seinerseits jenes Verbot anzuordnen, so bleibt demjenigen
oder denjenigen Theilen, welche solches zu erlassen für nöthig finden, die Befugniß
vorbehalten, dasselbe auch auf den Umfang des ihrem Beschlufse nicht beitretenden
Theiles auszudehnen.“
Solche den freien Verkehr ausschließenden Verbote find z. B. das Verbot der
Ausfuhr von Waffen und Pferden bei Kriegsgefahr, das Verbot der Einfuhr von
amerikanischem Obst und Fleisch wegen Ansteckungsgefahr, von Lumpen wegen Cholera=
gefahr, von Thieren wegen Seuchengefahr, auch das Verbot der Ausfuhr von Futter-
und Streustoffen, wenn ein großer Mangel daran und demzufolge Viehkrankheiten
zu besorgen sind“. Es kommt nun in Frage, ob noch die Einzelstaaten solche
Verbote erlassen dürfen.
Es ist gewiß, daß solche Verbote die durch die Zollgesetzgebung (§ 1 des
Vereinszollgesetzes vom 1. Juli 1869) und die internationalen Zoll- und Handels-
gesetze geschaffene, also gesetzliche Ein= und Ausfuhrfreiheit aufheben. Ohne be-
sondere reichsgesetzliche Ermächtigung darf also kein Einzelstaat, so wenig wie er
einseitig Gesetze oder Verträge des Deutschen Reiches abändern kann, Ein= und
Ausfuhrverbote erlassen 5. Es kann also das Recht der Einzelstaaten zum Erlasse
von solchen Verboten nur anerkannt werden, wenn es durch eine lex specialis vom
1 Im Ergebuisse übereinstimmend Delbrück,S. 181 ff.
Artikel 40, S. 28, 79, 81, 85 a. a. O., Laband, 6 Ebenso Delbrück, Artikel 40, S. 24,
II, S. 855. Arndt, Komm., S. 185, Verordnungsrecht,
2 Art. 5, Abs. 2 der Reichsverfassung S. 95 ff., Laband, II, S. 867; anderer An-
2 Art. 5, II, § Ze des Vertrages vom 8. Juli sicht Seydel, Comm., S. 229, und G. v. Mayr,
7. in v. Stengel's Wörterbuch des deutschen Ver-
* Vgal. Arndt, in Hirth's Annalen 1895, waltungsrechts, II, S. 295.