32 Erstes Buch. Entstehung des heutigen Deutschen Reiches.
Der Norddeutsche Bund ist nicht der Rechtsnachfolger des Deutschen Bundes,
nicht sowohl, weil sein Gebiet von dem des Deutschen Bundes verschieden, sondern
weil er auf ganz anderen Verträgen und Grundlagen errichtet ist, nachdem Preußen
am 14. Juni und die übrigen Vertragsgenossen des Deutschen Bundes und diesen
in den Bündnißverträgen bezw. in den Friedensverträgen mit Preußen, bezw. in
Doi Londoner Vertrage von 1867 für gebrochen, aufgelöst und aufgehoben erklärt
atten.
Nicht nur der Deutsche Bund selbst, sondern auch seine Verfassung wurden in Folge
der Ereignisse des Jahres 1866 vollständig beseitigt. Was von dieser Verfassung
noch gelten sollte, z. B. das Stimmenverhältniß im Plenum und der Art. XXIV
der Wiener Schlußacte vom 15. Mai 1820 über Justizverweigerung, find in die
Verfassung des Norddeutschen Bundes ausdrücklich übernommen. Alles Andere,
was in der Verfassung des Deutschen Bundes bestimmt ist, muß als aufgehoben
gelten 7.
Daraus folgt, daß die vormals zum Deutschen Bunde gehörigen Staaten in
keiner Weise an die Satzungen des Deutschen Bundes und also auch an die
Satzungen, welche fie in Gemäßheit derselben bei sich gegeben haben, mehr gebunden
fsind und diese, wenn und wie sie wollen, aufheben und abändern können 7.
Andererseits ist es richtig, daß die Auflösung des Deutschen Bundes nicht ex tunc,
sondern ex nunc erfolgte, woraus sich aber nur ergiebt, daß das Bundesrecht, ab-
gesehen von der Bundesverfassung, bestehen und in Geltung geblieben ist, wenn
und solange es den einzelnen Bundesstaaten nicht beliebt, es wieder aufzuheben
oder abzuändern. Wird erwogen, daß die Vorschriften des Bundesrechts nur die
einzelnen Staaten, nicht deren Unterthanen verpflichteten, so hat der Satz, daß das
Bundesrecht nicht ohne Weiteres durch die Auflösung des Deutschen Bundes rück-
wirkend aufgehoben ist, keine große praktische Bedeutung. Das Recht des Deutschen
Bundes war ein Vertragsrecht zwischen den Bundesmitgliedern, kein unmittelbares
Recht für deren Unterthanen, auch nicht für die vormals Reichsunmittelbaren.
Diese erwarben ihre Rechte lediglich als landesgesetzliche aus den Landes-
gesetzen, die zur Ausführung des Art. XIV der Bundesacte ergingen. Diese
Landesgesetze können durch Landesgesetz wieder aufgehoben werden, nachdem durch
die Auflöfung des Deutschen Bundes die Landesregierungen nicht mehr gehalten
find, das deutsche Bundesrecht zu befolgen #.
§* 8. Die Errichtung des Deutschen Reiches.
Artikel 79, Absatz 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes bestimmt:
„Der Eintritt der süddeutschen Staaten oder eines derselben in den
Bund erfolgt auf Vorschlag des Bundespräfidiums im Wege der Bundes-
gesetzgebung.“
Durch diese Vorschrift sollte nach den Worten ihres Urhebers (Lasker) aus-
gedrückt werden, daß der Eintritt der süddeutschen Staaten nicht für eine Veränderung
der Bundesidee gehalten werde, daß also dieser Beitritt nichts weiter sei als eine
1 Anerkannt im Beschluß des Bundesraths 2. Theile der 3. Aufl. seines deutschen Staats-
v. 28. Febr. 1873 (züglich der vormals Reichs= und Bundesrechts, S. IV, und in mehreren be-
unmittelbaren) in Nr. es deutschen Reichs= sonderen Schristen zu Gunsten der vormals
und preuß. Staatsanzeigers auf Grund des Be-Reichsunmittelbaren, insbesondere des Herzogs
richts des Bundesrathsausschusses für das Justiz von Arenberg-Meppen, Hannover 1873, desgl.
wesen v. 18. Februar 1873 (Drucksachen des Zöpfl in mehreren Flugschriften, z. B. zu
Bundesraths v. 1873, Nr. 30 und in den Sten. Gunsten des Herzogs von Arenberg-Meppen,
Ber. des preuß. abgeordnetenhauses 1872/73, Hannover 1873, sodann H. Schulze, Einleitung
Anl. Bd. 2, Aktenst. 331, S. 1381 ff.), ebenso in das deutsche Staatsrecht, Leipzig 1867,
W. v. Seidd el, Kommentar zur Reichs-Ver- # S. 102, und Preuß. Staatsr., Bd. I,
gaisungeur unde, 2. Aufl., S. 315 ff., G. Meyer,S. 486. S. auch oben S. 11.
Lehrbuch, Anm. 9 zu § 229, Thudichum, 2 S. die vorige Anmerkung.
Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes-St.;! Vgl. auch Seydel, Kommentar, 2. Aufl.,
vgl. dagegen Zachariä in der Vorrede zum S. 317.