Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

402 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
Für die Erhebung der Wechselstempelsteuer werden jedem Bundesstaate 
2 Procent von den jährlichen Einnahmen für die in seinem Gebiete debitirten (zur 
Hebung gelangenden) Stempelmarken seit Anfang 1876 vergütet 1; ebenso hoch ist 
die Vergütung vom Urkundenstempel". Bezüglich der Steuer von Loosen 
der Staatslotterien findet eine Vergütung nicht statt. Beim Spielkarten- 
stempel beträgt die Vergütung 5 Procents. Bei der statistischen Gebühr 
t die wirklichen Ausgaben von Seiten der Bundesstaaten aufgerechnet und 
ersetzt. 
Aber nicht die ganzen Zölle und Reichssteuern werden in allen Fällen der 
Reichskasse zu Gute gebracht. Zunächst bestimmt nämlich (lex Franckenstein) 
§ 8, Abs. 1 des Gesetzes, betreffend den Zolltarif des Deutschen Zollgebiets und 
den Ertrag der Zölle und der Tabacksteuer, vom 15. Juli 1879 (R.--G.-Bl. 1879, 
S. 207): „Derjenige Ertrag der Zölle und der Tabacksteuer, welcher die Summe 
von 130 000 000 Mark in einem Jahre übersteigt, ist den einzelnen Bundesstaaten 
nach Maßgabe der Bevölkerung, mit welcher sie zu den Matrikularbeiträgen heran- 
gezogen werden, zu überweisen.“ Der 130 Millionen übersteigende Jahresbetrag 
fließt also zwar in die Reichskasse, bleibt aber nicht dort, sondern wird den Bundes- 
staaten überwiesen. Es ist viel darüber gestritten, ob dieser § 8 eine Aenderung 
der Vorschriften in den Artikeln 38 und 70 der Reichsverfassung enthalte 5. In 
juristischer Hinsicht hat er für das Budgetrecht des Reichstages die Wirkung, daß 
die einzige Einnahmequelle des Reiches, die erst durch das Etatsgesetz erschlossen 
wird, die nicht ein für alle Mal bewilligt ist, wie die Steuern, die Matrikular- 
beiträge, alljährlich durch Etatsgesetz festgestellt werden muß, und zwar auch dann, 
wenn die gemeinschaftlichen Einnahmen an und für sich zur Deckung der Reichs- 
ausgaben zureichen würden v. Materiell bedeutet § 8 ferner, daß, wenn die Reichs- 
einnahmen, für sich allein und ohne Matrirularbeiträge, die Reichsausgaben über- 
steigen, der überschießende Betrag nicht dem Reiche verbleibt, sondern den Bundesstaaten 
zu überweisen ist. Dies ist regelmäßig die einzig thatsächliche Wirkung des 
§ 87. Hänel (Deutsches Staatsrecht, I, S. 383) macht gegen den § 8 geltend, 
daß er sich außerhalb der Zuständigkeitsgrenzen der Reichsverfassung vollziehe, weil 
eine Dotation der Einzelstaaten durch das Reich außerhalb der Verfassung liege. 
Betrachtet man die Sache, wie sie sich geschichtlich entwickelt hat und that- 
sächlich liegt, so stellt sich die Bedeutung des § SL anders. Vorher hatte das 
Reich aus den Zöllen und der Tabacksteuer jährlich etwa 100 Millionen. Das 
Gesetz vom 15. Oktober 1879 vermehrte durch Aenderung, namentlich Erhöhung 
des Zolltarifs und Einführung neuer Zölle, z. B. auf Getreide und Roheisen, 
diesen Betrag S um jährlich etwa 30 Millionen Mark; weit entfernt also davon, 
das Reich zu verkürzen, erhöhte es seine Einnahmen. Aber der Gesetzgeber wollte 
diese Einnahmen nicht so weit wachsen lassen, daß das Reich seine Ausgaben ohne 
Matrikularbeiträge, also ohne Einnahmegesetz, bestreiten konnte, und daher begrenzte 
er die von ihm bewirkte Erhöhung. Hiernach enthält das Gesetz vom 15. Juli 1879 
eine Verfassungsänderung formell nicht, weil die Einnahmen zunächst in die 
Reichskasse fließen und Art. 38 und 70 der Reichsverfassung einer Verfügung über 
die Ausgaben nicht entgegenstehen, und materiell nicht, weil es dem Reiche seine 
Einnahmen aus den Zöllen und dem Tabacke keineswegs schmälerte, sondern aus 
  
1 Wechselstempelsteuergesetz vom 10. Juni 
1869, § 27. Auch erhält die Postverwaltung 
2½ Procent vom Bruttoertrage. 
2 Reichs-Stempelgesetz § 44. 
2 Gesetz vom 8. Juli 1878, t 23. 
4 Näheres bei v. Aufseß, I. c. S. 410. 
5 Dies behaupten Zorn, Staatsrecht, II, 
S. 688, G. Meyer, Verwoltungerecht, II, 
S. 398, Seydel, Comm., S. 77 a. a. O., 
Hänel, Staatsrecht, 1, S. 383, und im Reichs- 
tage 1879 (Sten. Ber. S. 2180 ff.) namentlich 
  
v. Bennigsen, Beseler und Boretius. 
Bestritten wurde diese Behauptung damals 1879 
u. A. (I. c. S. 2193) von v. Bismarck. La- 
band, II. S. 933 ff., ebenso wie Seydel, 
Comm., S. 391, erklären den § 8 als be- 
deutungslos. Fürst Bismarck, l. c.: obonnet 
blanc“ oder „blanc bonnet“. 
* Vgl. weiter unten und Seydel, Comm., 
S. 391. 
7 Siehe weiter unten. 
8 Trotz des § 8 der lex Franckenstein.
	        
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