Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

406 Siebentes Buch. Finauzwesen. 
gestellten Ausgaben will das Gesetz die Ermächtigung zu deren Leistung aussprechen, 
indeß nur unter der Voraussetzung, daß und bis zu der Höhe, in welcher die Aus- 
gaben an sich gerechtfertigt find. Zwischen dem Staate und seinen Gläubigern 
und Schuldnern will das Etatsgesetz kein Recht ausmachen. Der bloße Umstand, 
daß eine Forderung des Staates an einen Schuldner nicht in den Etat mit auf- 
genommen ist, befreit weder den Schuldner von seiner Schuld an den Staat noch 
die Regierung von der Pflicht, die Schuld beizutreiben. Wenn aber bezüglich einer 
dem Staate zustehenden Einnahme im Etatsgesetze ausdrücklich und besonders be- 
merkt wird, daß auf fie verzichtet wird, daß die entsprechende Forderung unerhoben 
bleiben und niedergeschlagen werden soll, dann allerdings wird die Staatsregierung 
ermächtigt — und dem Landtage gegenüber verpflichtet —, die Schuld unerhoben zu 
lassen. Der Schuldner seinerseits kann auf Niederschlagung auch in einem solchen 
Falle nicht klagen. Um ein Beispiel zu wählen: Ein Beamter ist rechtskräftig 
verurtheilt, wegen unterlassener Sorgfalt einen dadurch entstandenen Schaden zu 
ersetzen. Er hat mehrere Jahre im Gehaltsabzugsverfahren Abzahlungen geleistet. 
Nun ersucht die Staatsregierung, wenn fie den Rest nicht aus irgend welchen 
Dispofitionsfonds zahlen und andererseits nicht weiter erheben will, den Landtag 
um Niederschlagung der bezüglichen Einnahme. Diesem Ersuchen wird stattgegeben 
und bei der Einnahme bemerkt, der Rest wird niedergeschlagen oder die Einnahme 
wird abgesetzt. In solchem Falle erlangt der Etat insoweit Bedeutung für das 
Verhältniß des Staates zu seinem Schuldner, daß ersterer auf eine ihm zustehende 
Forderung verzichten, ja daß sogar der Landtag diese Verzichtleistung von der 
Regierung fordern darf. 
Aehnlich stellt sich die Sachlage bei den Ausgaben. Daß eine Ausgabe in 
den Etat eingestellt und festgesetzt ist, bedeutet noch nicht und will nicht bedeuten, 
daß unter allen Umständen diese Ausgabe auch in der festgestellten Höhe geleistet werden 
muß. Trotz der Einstellung in den Etat muß stets und sorgfältig geprüft werden, 
ob die Ausgabe auch nöthig und ob nichts daran zu ersparen war. Die Einstellung 
als solche giebt Dem, zu dessen Gunsten fie erfolgt ist, noch kein Recht, zu fordern, 
daß die Ausgabe auch an ihn geleistet werde. Aber wenn in den Ausgabeetat eine 
Summe in der ausgesprochenen Absicht eingestellt wird, daß sie, auch ohne daß 
dazu eine Pflicht vorliegt, gelelstet werden muß oder geleistet werden darf, so ist 
die Regierung von dem Nachweise befreit, daß diese Ausgabe nothwendig war. 
Dadurch, daß in den Etat eine Summe als Abfindung der Brüder Denhardt wegen 
der im Witulande erlittenen Verluste eingestellt wurde, kann die Staatsregierung 
diese Summe zahlen, ohne daß der Rechnungshof des Deutschen Reiches den Nach- 
weis erfordern darf, ob auch an sich eine rechtliche Verpflichtung zur Leistung einer 
Abfindungssumme vorgelegen hat. Die Regierung kann unter Umständen dem Reichs- 
tage dafür verantwortlich sein, daß sie diese — an sich moralisch, aber juristisch 
nicht gerechtfertigte — Abfindungssumme auch zahlt; die Brüder Denhardt ihrerseits 
haben aus der Einstellung dieser Summe in den Etat noch kein Klagerecht. 
Es entsteht nun die Frage: Muß die Staatsregierung, wenn dies etwa die 
Absicht des Reichstages wäre und als solche im Etat zum Ausdruck gebracht ist, 
Ausgaben leisten, zu denen das Reich juristisch nicht verpflichtet ist und welche die 
Regierung nicht leisten will? Gesetzt, der Reichstag will einseitig den Reichszuschuß 
zu der Invaliden= und Altersrente erhöhen und setzt demgemäß die bezügliche Etats- 
pofition mit dem ausdrücklichen Bemerken herauf, daß der Reichszuschuß statt 
50 Mark fortan jährlich 80 oder 100 Mark betragen soll. Hier hat die 
Reichsregierung nicht die Pflicht, den Reichszuschuß zu erhöhen; denn dieser Reichs- 
zuschuß beruht auf Gesetz und kann nicht einfeitig von einem Gesetzgebungsfactor 
erhöht werden. Noch weniger könnte ein Rentenempfänger auf den höheren Zuschuß 
klagen; denn für ihn ist das Etatsgesetz eine res inter alios gesta. 
Der Anspruch eines Beamten auf sein Gehalt beruht auf der Anstellung und 
nicht auf dem Etatsgesetz. Wenn im Etat vermerkt wird, daß eine bestimmte Klasse 
von Beamten bestimmte Steigerungssätze erhält, so hat daraus zunächst nur der 
Landtag das Recht, darauf zu sehen, daß die Gehaltssätze auch gewährt werden. 
 
	        
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