Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 43. Der Inhalt des Etatsgesetzes u. s. w. 409 
Etatsjahre sogar zurückzahlen lassen; sondern damit, daß der preußische Landtag die 
Einnahmen nur zur Kenntniß zu nehmen, nicht zu genehmigen hat 1, daß das 
Recht der preußischen Krone durch die Verfassung nur hinsichtlich der Ausgaben, 
nicht hinsichtlich der Einnahmen beschränkt ist, und daß endlich die Krone alle ihr 
durch die Verfassung nicht entzogenen Rechte noch besitzt. Die Reichsgesetze, welche 
Einnahmen für das Reich vorschreiben, die Zoll-, die Steuer-, die Stempelgesetze, 
gebieten die Erhebung der Abgaben, soweit sie nicht selbst Ausnahmen gestatten. 
Der Verzicht der Krone Preußen auf gesetzlich begründete Einnahmen ist ebenso 
wenig ein Dispens von den Einnahme--(Steuer-)Gesetzen wie die Begnadigung ein 
Dispens von den Strafgesetzen ist. Auch auf solche Einnahmen, die dem Staate 
Preußen aus Reichsgesetzen zustehen, kann der König gültig verzichten, z. B. auf 
Geldstrafen, die auf Grund des Reichsstrafgesetzbuchs oder irgend eines anderen 
Straf= oder Steuergesetzes erkannt find, sowie auf Gebühren und Gerichtskosten, die 
dem Staate Preußen auf Grund des vom Reiche erlassenen Gerichtskostengesetzes 
zustehen. Dispenfiren von diesen Gesetzen kann der König Niemanden. 
Auf Einnahmen, die auf Verträgen oder anderen Rechtsgeschäften (Testamenten) 
beruhen, kann das Reich ohne Gesetz regelmäßig verzichten; es kann z. B. Con- 
ventionalstrafen niederschlagen und auf angefallene Erbschaften und Vermächtnisse 
verzichten. Es liegt dies innerhalb der Handlungsfreiheit und der Vollmacht, 
welche den Reichsbehörden zusteht, darauf, daß sie nicht und durch kein Gesetz ver- 
pflichtet find, Erbschaften anzutreten und Conventionalstrafen einzuziehen. Die 
gleiche Ermächtigung, welche sie besitzen, um eine Erbschaft anzutreten oder eine 
Conventio nalstrafe einzuziehen, besitzen sie, geeigneten Falls auf die Erbschaft zu 
verzichten oder die Conventionalstrafe unerhoben zu lassen. Das Recht der Gnade 
auf vermögensrechtlichem Gebiete steht der Krone Preußen bezüglich der dem Staate 
zustehenden Ansprüche zu, und zwar allgemein; ein solches Recht, Gnade zu üben 
auf vermögensrechtlichem Gebiete, haben dagegen die Reichsbehörden nicht; sie haben 
überhaupt keine Gnade zu üben. Indeß brauchen sie andererseits nicht jedweden 
Anspruch geltend zu machen und zu verfolgen; die Erbschaft kann z. B. nachtheilig 
sein, die Einforder ung der Conventionalstrafe erfolglos, die Geltendmachung, weil 
nicht gerechtfertigt durch den erlittenen Schaden, unanständig sein. Die Reichs- 
steuergesetze sollen sie ohne Gnade ausführen; das ist ihnen vom Reichsgesetzgeber 
und beziehungsweise schon in den alten Zollvereinigungsverträgen vorgeschrieben, aus 
finanziellen Gründen nicht allein, sondern auch aus volkswirthschaftlichen. Dagegen 
ist kein Reichsgesetz so thöricht, vorzuschreiben, die Reichsmarineverwaltung solle eine 
ausbedungene Conventionalstrafe unter allen Umständen einfordern — auch wenn 
dies unbillig wäre —, oder der Reichskanzler solle stets ein Legat an das Reich 
annehmen, auch wenn er die Annahme aus wohlerwogenen Gründen für un- 
angemessen hält?. Ist eine Einnahme z. B. für Veräußerung eines dem Reiche 
gehörigen Gegenstandes in den Etat eingestellt, so kann darauf im Gnadenwege 
nicht verzichtet werden; in Preußen wäre dies statthaft. 
Mit allen diesen Ausführungen stimmt es überein, daß in Preußen Mehr- 
einnahmen und Ueberschreitungen der Einnahmen dem Landtage nur zur 
Kenntniß mitgetheilt werden; im Reiche bedürfen die außeretatsmäßigen Ein- 
nahmen der nachträglichen Genehmigung, z. B. wenn die Reichsregierung 
Grundstücke des Reiches verkauft, ohne zuvor den muthmaßlichen Erlös in den 
Einnahmeetat eingestellt zu haben. 
Einnahmen durch Anleihen kann sich die Reichsregierung nicht (ebenso wenig 
wie die preußische Staatsregierung) allein und beliebig machen. Es ist dabei 
gleichgültig, ob die Anleihe für sogenannte Verwaltungs= oder für sogenannte 
Finanzzwecke erfolgt, ob fie verzinslich oder unverzinslich (Papiergeld), unkündbar 
oder kündbar ist, ob sie in der Form von Consols oder von Schatzanweisungen 
  
  
  
1 Arndt, Komm. zur Preuß. Verf., I. c. alen 1888, S. 903 ff., Seydel, Bayer. Staats- 
2 Vgl auch Laband, Reichsstaatsrecht, II,|recht, III. S. 558, u. A. m. Wegen der dem 
S. 982, und im Archiv für öffentl. Recht 1892, Reiche zustehenden Gerichtskosten siehe unten 
Bd. VII, S. 169 f., Josl, in Hirth's An- S. 426, Anm. 1.
	        
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