Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

416 Siebentes Buch. Finanzwesen. 
Obgleich nach der Vorschrift in Art. 69 der Reichsverfassung das Etatsgesetz 
vollständig und erschöpfend sein soll, so find Nachträge nicht zu vermeiden. Diese 
sind statthaft in der Form einfacher Gesetze. Sie haben alle Eigenschaften und 
Wirkungen eines Etatsgesetzes 1. 
Da das Reichshaushalts-Etatsgesetz die Einnahmen und Ausgaben für ein 
bestimmtes Etatsjahr veranschlagt und feststellt, auch die Ermächtigung zur 
Leistung der Ausgaben für ein bestimmtes Etatsjahr ertheilt, so können — ohne 
nachträgliche Genehmigung —. Gelder nicht für später fällig werdende Ausgaben ge- 
leistet werden. Die Reichsregierung kann auch nicht willkürlich die Ausgaben zu anderen 
als den angegebenen Zwecken verwenden. Sie kann sich nicht ohne den Willen des 
Bundesrathes und des Reichstages Geld für gewisse Zwecke dadurch flüssig machen, 
daß fsie Summen, die für andere Zwecke bewilligt sind, schuldig bleibt. Das Etats- 
gesetz bedeutet nicht, daß die Regierung Alles, was sie will, in Beziehung auf die 
Finanzwirthschaft thun darf, wenn sie nur im Ganzen den Ausgabeetat nicht 
überschreitet. Wie weit das Etatsgesetz im Einzelnen die Regierung bindet und 
binden soll, läßt sich nicht aus allgemeinen juristischen Regeln ableiten. 
Es kommt einmal darauf an, wie weit darf das Etatsgesetz (der Reichstag) die 
Regierung im Einzelnen binden? und sodann darauf, wie weit will dieses Gesetz 
die Regierung vinkuliren? Es handelt sich hier um ein Gebiet, bei dem im Reiche 
wie in Preußen viele Meinungsverschiedenheiten bestanden haben und theilweise 
noch bestehen. Ob die Regierung das Etatsgesetz im Allgemeinen und in seinen 
besonderen Pofitionen beobachtet hat, kann nur aus Vorlegung der Rechnungen 
festgestellt werden. Daher müssen das materielle und das formelle Etatsrecht 
im Zusammenhang mit einander vorgetragen werden. 
Da namentlich bei Errichtung des Norddeutschen Bundes die preußischen Be- 
hörden und Beamten auch den größten Theil der Bundesfinanzen verwalteten, 
namentlich den größten Theil der Ausgaben des Bundes leisteten: für die Kriegs- 
marine, das Heer, Post= und Telegraphenwesen, die auswärtige Vertretung, lag es 
nahe, die Grundsätze des preußischen Staates über die Finanzverwaltung und deren 
Controle auf den Bund anzuwenden. Demgemäß schrieb das Gesetz, betreffend die 
Kontrole des Bundeshaushalts für die Jahre 1867 bis 1869, vom 4. Juli 1868 
(B.-G.-Bl. 1868, S. 4383) vor: § 1. „Die Kontrole des gesammten Bundeshaus- 
halts durch Prüfung und Feststellung der Rechnungen über Einnahmen und Aus- 
gaben von Bundesgeldern, über Zugang und Abgang von Bundeseigenthum und 
über die Verwaltung der Bundesschulden wird für die Jahre 1867, 1868 und 1869 
von der Preußischen Ober-Rechnungskammer unter der Benennung: „Rechnungs- 
hof des Norddeutschen Bundes“ geführt.“ § 8: „Die Ober-Rechnungs- 
kammer führt die nach § 1 dieses Gesetzes ihr obliegende Kontrole nach Maaßgabe 
derjenigen Vorschriften, welche für ihre Wirksamkeit als Preußische 
Rechnungs-Revisionsbehörde gegenwärtig gelten. Dieselben Rechte 
und Pflichten, welche ihr in dieser letzteren Eigenschaft den Preußischen Behörden und 
Beamten gegenüber beigelegt sind, stehen ihr in ihrer Eigenschaft als Rechnungshof 
des Norddeutschen Bundes den Bundesbehörden und Beamten gegenüber zu.“ 
Nachdem inzwischen in Preußen das Gesetz, betreffend die Einrichtungen und die Be- 
fugnisse der Ober-Rechnungskammer, vom 27. März 1872 (G.-S. 1872, S. 278) 
ergangen war, wurde durch das Reichsgesetz vom 11. Februar 1875 (R.-G.-Bl. 
1875, S. 61) bestimmt, daß an Stelle der in § 3 des Bundesgesetzes vom 
4. Juli 1868 aufgeführten Vorschriften die nunmehr in Preußen gültigen, 
namentlich die im Gesetze über die Ober-Rechnungskammer vom 27. März 1872 
enthaltenen treten sollen. Diese Vorschrift wird in den späteren Gesetzen über die 
Controle des Reichshaushalts wiederholt (z. B. Gesetz, betreffend die Kontrole des 
Reichshaushalts, des Landeshaushalts von Elsaß-Lothringen und des Haushalts 
  
  
  
  
1 Ein solches Gesetz erging z. B.: Gesetz, be-1898, vom 17. Mai 1898 (R.-G.-Bl. 1898, 
treffend die Feststellung eines Nachtrags zum S. 181). 
Reichshaushalts-Etat für das Rechnungsjahr
	        
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