428 Siebentes Buch. Finanzwesen.
lastung ertheilen. Dabei haben Bundesrath und Reichstag vor Allem festzustellen,
ob außeretatsmäßige Ausgaben oder Ausgabeülerschreitungen, gleichviel ob offene
oder verdeckte, vorkommen, ferner ob Einnahmeüberschreitungen rückfichtlich der
Einnahmen, die von ihnen besonders bewilligt sind, z. B. für die Veräußerung
von Reichseigenthum, ferner Anleihen, Kassenscheine, vorgekommen find. Für diese
bedarf es der nachträglichen Genehmigung durch den Bundesrath und Reichstag.
Selbst absolut nothwendige Ausgaben, z. B. solche, die unmittelbar auf Gesetz be-
ruhen oder aus einer unvorhergesehenen Theuerung bei den Lebensmitteln, aus
unvorhergesehenen Krankheiten, z. B. von Truppen oder Vieh, entstanden find, be-
dürfen der nachträglichen Genehmigung durch den Bundesrath und den Reichstag.
Diese sind in solchen Fällen allerdings gebunden, ihre Genehmigung zu ertheilen.
Diese Genehmigung ist sodann nothwendig (abweichend von Preußen) für jede
Einnahme oder Mehreinnahme, welche sich das Reich durch die Veräußerung von
Reichseigenthum verschafft. Es ist die Genehmigung sowohl des Bundesraths wie
des Reichstages nothwendig. Daß die Genehmigung in der Form eines Gesetzes
erfolgen müsse, ist in der Reichsverfassung so wenig wie in der Preußischen Ver-
fassungsurkunde vorgeschrieben und auch nicht anzunehmen 1. Hiermit stimmt die
Praxis im Reiche und in Preußen überein. Es ist nicht nothwendig, daß Bundes-
rath und Reichstag, Herrenhaus wie Abgeordnetenhaus in derselben Session
ihre Genehmigung ertheilen 7.
Die Versagung der Genehmigung selbst durch beide, den Bundesrath und
den Reichstag, hat an sich nicht die Zurückzahlung der nicht genehmigten Einnahme
oder die Zurückforderung der nicht genehmigten Ausgabe zur Folge; denn der Etat
berührt die Rechte und Pflichten dritter Personen zum Staate nicht. Gleichwohl.
ist diese Versagung von politischer und rechtlicher Bedeutung. Sie schafft oder
erklärt einen verfassungswidrigen Zustand, der erst dann geheilt wird, wenn
entweder die Genehmigung hinterher ertheilt oder durch Rückgängigmachung der Ausgabe
oder Einnahmes hinterher entbehrlich wird. Wohl ausnahmslos werden Bundesrath
und Reichstag nicht mehr abzuändernde Acte der Finanzwirthschaft genehmigen; sie
werden aber daran meist Bemerkungen und Bedingungen knüpfen. Diese können in einem
Tadel bestehen, den sie aussprechen; auch darin, daß sie die Regierung auffordern, das
zu Unrecht Verausgabte von dem Beamten einzuziehen, der das Versehen begangen,
z. B. eine außeretatsmäßige Ausgabe ohne rechtliche Nothwendigkeit geleistet, ver-
sehentlich oder vorsätzlich den genehmigten Baufonds überschritten hat. Dadurch,
daß Bundesrath und Reichstag ihre nachträgliche Genehmigung zu einer Ausgaben-
überschreitung oder einer außeretatsmäßigen Ausgabe ertheilen, wird ein dabei etwa
begangenes Verschulden eines Beamten noch nicht als gefühnt oder nicht ge-
schehen erklärt. Vielmehr berührt dies die Rechte des Reiches zu seinen Beamten
nicht. Wenn also die Ueberschreitung des Baufonds auch hinterher vom Bundesrath
und Reichstag genehmigt wird, so haftet der Veranlasser dieser Ueberschreitung
wegen seines Verschuldens dem Reiche weiter". Der Dritte wird nur befreit, wenn
seine Ueberschreitung durch eine Cabinetsordre justificirt wird. Genehmigen der
Bundesrath und der Reichstag die Ueberschreitung des Baufonds und setzen sie
zugleich die von dem Beamten im Regreßwege zu leistende, in den Etat eingestellte
Summe von den Einnahmen ab, so erwächst daraus für die Regierung das Recht,
ohne Weiteres den regreßpflichtigen Beamten freizulassen.
Sind alle Anstände erledigt, so müssen Bundesrath und Reichstag dem Reichs-
kanzler (Decharge) Entlastung ertheilen. Wird die Ertheilung versagt, so bleibt
der Reichskanzler für die Finanzwirthschaft des Etatsjahres verantwortlich. Dieser
Zustand kann dadurch geändert werden, daß, nachdem der Reichskanzler die vom
1 Anderer Ansicht für das preußische Staats- 2 Es ist z. B. ein Kaufgeschäft nur unter
recht v. Rönne, 4. Aufl., I. S. 621, Anm. 8. Vortehalt der budgetmäßigen Genehmigung ab-
* Vgl. Anlagen zu den Sten. Ber. des geschlossen oder eine Ausgabe unter der Be-
hreubif en Abgeordnetenhauses 1863, S. 1176 ff., dingung geleistet, daß sie hinterher budgetmaͤßig
rndt, Preuß. Verf., Anm. 3 zu Art. 104, und genehmigt werde.
dagegen v. Rönne, Preuß. Staatsr., 4. Aufl., 4 Siehe oben S. 406 und vgt Entsch. d.
Anm. 6 zu 1, S. 621. Reichsger. in Civils., Bd. XIII, S. 258.