Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

#43. Der Inhalt des Etatsgesetzes u. s. w. 429 
Bundesrath und dem Reichstag gezogenen Monita erledigt hat oder aus anderen 
Gründen die Entlastung hinterher doch ertheilt wird. 
Als die Rechtswirkungen der vom Bundesrath und Reichstag dem Reichskanzler er- 
theilten Ermächtigung werden „in privatrechtlicher Hinficht die einer ordnungsmäßigen 
Onittung, in staatsrechtlicher Hinsicht die Entlastung des Reichskanzlers von der ihm bis 
dahin obliegenden Verpflichtung“ bezeichnet 1. Indeß hat diese Entlastung privat- 
rechtlich für den Reichskanzler keine Bedeutung; denn ob fie ertheilt oder 
versagt wird, in keinem Falle oder auf Grund keiner Verfassungs= oder Gesetzes- 
vorschrift haftet der Reichskanzler privatrechtlich für die Innehaltung des Etatsgesetzes. 
Dagegen hat die Entlastung politische Bedeutung. Der Reichskanzler ist dafür 
verantwortlich, daß das Etatsgesetz vollständig erfüllt und gemäß der Verfassung 
und den Gesetzen die Finanzwirthschaft des Reiches geführt wird, und als Wächter 
darüber find Bundesrath und Reichstag gesetzt?2. 
Indeß kann die Verweigerung der Entlastung eine weitere Folge von unbedingt 
rechtlicher Bedeutung erlangen, nämlich, wenn fie dazu Anlaß giebt, daß der 
Rechnungshof des Deutschen Reiches den rechnungsführenden Beamten die Decharge 
vorenthält (§ 17 des Ober-Rechnungskammergesetzes vom 27. März 1872). Dieser 
§ 17 schreibt nämlich vor: „Die Ober-Rechnungskammer ertheilt den rechnungs- 
führenden Beamten, wenn sie ihren Verbindlichkeiten vollständig genügt und die 
aufgestellten Erinnerungen erledigt haben, eine Decharge" mit den in den §#§ 146 
bis 153, Theil I, Tit. 14 des Allgemeinen Landrechts einer Quittung beigelegten 
Wirkungen. Stellen sich Vertretungen des Rechnungsführers oder anderer Beamten 
bei der Rechnungsrevision heraus, deren Deckung durch die Notatenbeantwortung 
nicht nachgewiesen wird, so hat die Ober-Rechnungskammer die weitere Verfolgung, 
welche von der vorgesetzten Behörde zu betreiben ist, nöthigen Falls durch Ein- 
tragung in das Soll der Einnahmen anzuordnen.“ Diese Entlastung hat ohne 
Weiteres privatrechtliche Bedeutung; sie würde eine große öffentlich rechtliche Be- 
deutung haben, wenn sie erst ertheilt werden dürfte, nachdem die gesetzgebenden 
Körperschaften ihrerseits Entlastung der Staats-(Reichs-MRegierung ertheilt hätten. 
Dies ist aber nicht der Fall; die Ober-Rechnungskammer (der Rechnungshof) 
dechargirt unabhängig von der Entlastung, welche durch die gesetzgebenden Körper- 
schaften ertheilt wird. Es hat daher auch die Versagung der Decharge durch den 
Reichstag oder den Landtag auf die nach § 17 des Gesetzes vom 27. März 1872 
den Rechnungsführern zu ertheilende oder bereits ertheilte Entlastung keinen Ein- 
fluß; die gesetzgebenden Körperschaften können also durch Versagung der Entlastung 
nicht verhindern, daß die Behörden und Beamten des Reiches oder des Staates 
ihrerseits von ihrer Haftung befreit werden“. 
Die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts, welche die Wirkungen der von 
dem Rechnungshof ertheilten Entlastung darstellen, kommen auch noch nach dem 
Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Anwendung. Nach diesen Vorschriften 
befreit die Entlastung der Rechnungsführer nicht von der Vertretung unredlicher 
Handlungen oder später entdeckter Rechnungsfehler, wenngleich darauf in der Ent- 
lastung ausdrücklich entsagt worden ist (§ 146). Dagegen kann auch der Rechnungs- 
führer wegen eines später entdeckten, zu seinem Schaden begangenen Rechnungs- 
sehlers von dem Geschäftsherrn (Reich) Vergütung fordern (§ 142). Auch wegen 
solcher Angelegenheiten und Geschäfte, die in der Rechnung nicht mit vorgekommen 
find, kann der Rechnungsführer, der erhaltenen Entlastung ungeachtet, zur Verant- 
wortung gezogen werden (§ 148). Noch weniger befreit die Entlastung des 
Rechnungsführers von den Ansprüchen eines Dritten, wenngleich die Forderung 
desselben aus einem Geschäfte, über welches bereits Rechnung gelegt worden, ent- 
  
  
1 So Laband, II, S. 689, Seydel, werden, rechtlich erschöpft sich ihre Bedeutung 
Comm., S. 8398. in der Thatsache ihres Vorhandenseins.“ 
* Seydel sagt hierzu, Comm., S. 398: „Die 2 Jetzt „Entlastung“" genannt. 
Verweigerung der Entlastung ist, wie A. Hänel 4 Anderer Meinung Dr. Virchow am 16. 
bemerkt, eine einseitige Behauptung, weiter Februar 1872 im preuß. Abgeordnetenh., Här- 
nichts. Sie kann politisch sehr unangenehm tel, S. 374.
	        
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