§ 44. Der Reichsfiskus, Reichsvermögen und Reichsschulden. 437
nicht aber Theile des Finanzvermögens veräußern, heißt aussprechen, daß der Staat,
um sich Geld zu machen, alle Festungsgrundstücke, Kasernen, Kriegsschiffe ohne
Landtag veräußern darf, nicht aber ein Stück Land, das er früher für eine Eisen-
bahn oder Grube gebraucht hat, das jetzt aber für diesen Zweck entbehrlich geworden
ist. Es ist schließlich auch nicht richtig, daß namentlich das Finanzvermögen unter
dem Finanzminister, im Reiche unter dem Reichsschatzamt, Verwaltungsvermögen
aber unter der Behörde stehe, deren Inventar es bildet. Denn z. B. die Eisen-
bahnen, Domänen, Bergwerke stehen nicht unter dem Finanzminister und sollen
nicht unter diesem stehen, weil sie eben nicht lediglich als Kapitalanlage behandelt
werden sollen. Auch im Reiche unterstehen die Eisenbahnen nicht dem Reichsschatzamt,
sondern dem Reichsamt für Eisenbahnen.
Im Einzelnen besitzt das Reich folgende Vermögensstücke:
1) Die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen. Den Stamm dieser hat
das Reich durch Zusatzartikel § 2, Ziff. 6 des Frankfurter Friedensvertrages vom
10. Mai 1871 (R.-G.-Bl. 1871, S. 234) erworben. Das Reich hat durch Uebereinkunft
mit Luxemburg vom 11. Juni 18721 den Betrieb der Wilhelm-Luxemburg-Eisen-
bahnen in dem Großherzogthum Luxemburg bis zum 31. Dezember 1912 über-
nommen.
2) Durch Gesetz, betreffend die Bildung eines Reichskriegsschatzes, vom 11. No-
vember 1871 (R.-G.-Bl. 1871, S. 403)" wurde aus der von Frankreich ent-
richteten Kriegskostenentschädigung ein Betrag von 120 Millionen Mark zur Bildung
eines in gemünztem (Gold-)Gelde verwahrlich niedergelegten Kriegsschatzes
verwendet, über welchen nur zu Zwecken der Mobilmachung verfügt werden darf.
Eine solche Verfügung muß vom Kaiser erlassen werden und bedarf der vorgängigen
oder nachträglichen Genehmigung des Bundesraths und des Reichstages. Die
Versagung dieser Genehmigung kann allerdings die Verwendung des ganzen oder
eines Theils des Kriegsschatzes nicht rückgängig machen ?. Der Kriegsschatz wird
im Juliusthurm der Citadelle von Spandau verwahrt“. Verwaltet wird er vom
Reichskanzler unter der Controle der Reichsschuldenkommission, welche die Befugniß
hat, sich von dem Vorhandensein (der Vollständigkeit) und der sicheren Aufbewahrung
durch Revisionen Ueberzeugung zu verschaffen. Die Reichsschuldenverwaltung hat
alljährlich dem Bundesrathe und dem Reichstage Bericht hierüber zu erstatten
(Gesetz vom 11. November 1871, § 3).
Wird der Kriegsschatz ganz oder theilweise verausgabt, so ist er alsbald bis
zur Vollständigkeit zu ergänzen. Solche Einnahmen des Reiches, welche aus
anderen als den im Reichshaushaltsetat aufgeführten Bezugsquellen fließen
(Schenkungen, Erbschaften, Kriegskostenentschädigungen), sollen zu dieser Ergänzung
verwandt werden. Eine solche Verwendung bedarf, da sie im Gesetze angeordnet ist
(Gesetz vom 11. November 1871, § 2, Ziff. 1), nicht erst der Genehmigung durch das
Etatsgesetz. Soweit solche Bezugsquellen fehlen, soll und kann die Ergänzung durch
das Etatsgesetz erfolgen (Gesetz vom 11. November 1871, 8 2).
3) Um die Bestreitung derjenigen Ausgaben sicherzustellen, welche dem Reiche
in Folge des Krieges von 1870/71 für die Pensionirung und Versorgung der
Militärpersonen des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine, sowie für die Be-
willigungen an die Hinterbliebenen solcher Personen? zur Last fallen, wurde ein
Kapital von 561 Millionen Mark unter dem Namen „Reichs-Invaliden-
fonds" aus der von Frankreich gezahlten Kriegskostenentschädigung reservirt
(Gesetz, betreffend die Gründung und Verwaltung des Reichs-Invalidenfonds, vom
1 Neichseset vom 15. Juli 1872 (R.-G.-Bl. ]lexikon, III, S. 397 ff.
1872, S. 329). 4 Verordnung vom 22. Januar 1874 (R.-G.=
2 Siehe auch Kaiserliche Verordnung, betr.Bl. 1874, S. 9). »
die Verwaltung des Neichskriegsschatzes vom Gesetz, betr. die Leufionirung und Ver-
22. Januar 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 9) und sorgung der Militairpersonen des Reichsheeres
preußisches Gesetz, betr. die Aufhebung des und der Kaiserlichen Marine, sowie die Be-
Eiaatsschates, vom 18. Dezember 1871 (G.-S. willigungen für die Hinterbliebenen solcher
1871, S. 593). Personen, vom 27. Juni 1871 (R.-G.-Bl. 1871,
* E. Meier, in von Holhendorff's Rechts-|S. 275).