#3# 44. Der Reichsfiskus, Reichsvermögen und Reichsschulden. 441
sie ein Darlehen aufnimmt, mag dies verzinslich oder unverzinslich sein, für Ge-
richte oder für Eisenbahnzwecke, für Militärzwecke oder für Domänenerwerbung be-
stimmt sein, so bedarf das Rechtsgeschäft der Form des Gesetzes. Die Regierung
darf Anleihen, zu welchen Zwecken auch immer, nur im Wege der Gesetzgebung
contrahiren. Auch wenn es sich nur darum handelt, die Einnahmen sich sofort zu
verschaffen, welche im Laufe des Etatsjahres fällig werden, aber noch nicht fällig
geworden sind, so liegt eine Anleihe vor und ist der Weg der Reichsgesetzgebung
vorgeschrieben. Art. 73:
„In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses kann im Wege der
Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Uebernahme einer
Garantie zu Lasten des Reichs erfolgen“,
welcher von Miquel im verfassungsberathenden Reichstage beantragt war, hat
ganz gewiß weniger an Finanzschulden als an Verwaltungsschulden gedacht. Ein
außerordentliches Bedürfniß, Geld bringende Eisenbahnen zu bauen, besteht für das
Reich kaum; dagegen werden Fälle solcher Bedürfnisse für Heeres-, Marine-,
Festungszwecke allerdings wohl zu constatiren sein. Wie dem aber auch sein mag,
weder Art. 78 der Verfassungsurkunde selbst, noch die über ihn gepflogenen Ver-
handlungen lafsen erkennen, daß man einen Unterschied zwischen Finanz= und Ver-
waltungsschulden machen wollte. Vielmehr ergiebt Sinn und Wortlaut des Art. 73,
daß zu jeder Anleihe ein Reichsgesetz nöthig ist.
Die Anleihen find theils verzinsliche, theils unverzinsliche. Unverzinsliche,
auf den Inhaber gestellte, auf Vorzeigung sofort fällige und zahlbare einseitige
Summenversprechen sind Papiergeld im Sinne der Reichsverfassung 1. Die ver-
zinslichen Anleihen find theils solche, die eine von Anfang an bestimmte Verfall-
zeit haben und die als Schatzanweisungen bezeichnet werden, theils solche, die,
wenigstens auf Seiten des Gläubigers, unkündbar find. Ob die Reichsregierung
diese oder jene Form der Anleihe wählt, hängt vom Ermessen des Reichsgesetzgebers
ab. Braucht man nur vorübergehend Geld, so wird die Form von Schatzanweisungen
gewählt. Der Wortlaut der Gesetze geht in solchen Fällen dahin, daß der Reichs-
kanzler ermächtigt wird, die zur Bestreitung gewisser Ausgaben erforderlichen Geld-
mittel bis zur Höhe vo. im Wege des Credits flüssig zu machen und zu
diesem Zwecke in dem Nominalbetrage, wie er zur Beschaffung jener Summe er-
forderlich sein wird, eine verzinsliche Anleihe aufzunehmen und Schatzanweisungen
auszugeben. Ob der Gesetzgeber seinerseits den Zinssatz und die Kündigungsfrist
bestimmt oder deren Bestimmung dem Reichskanzler überläßt, hängt allein vom
Ermessen des Gesetzgebers ab. Schatzanweisungen find im Sinne der Reichs-
verfassung und des Verkehrs kein Papiergeld, weil sie nicht sofort bei Vorzeigung,
sondern erst an einem bestimmten Verfalltage zahlbar sind, weil sie ferner verzinsliche,
nicht unverzinsliche Schuldverschreibungen darstellen.
Wann nicht erhobene Zinsen von Reichsanleihen verfallen, bestimmen die
einzelnen Anleihegesetze. Diese, z. B. Gesetz vom 6. April 1870 (B.-G.-Bl. 1870,
S. 65), § 5, Abs. 3, schreiben eine vierjährige Verfall(Verjährungs)frist vom
Fälligkeitstermine vor, entsprechend dem allgemeinen Recht (Bürgerliches Gesetzbuch
§ 197). Die vom Reiche geschuldeten Capitalbeträge verjähren nach der Vorschrift
der Gesetze, z. B. Gesetz vom 9. November 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 157), § 8,
Abs. 2, in dreißig Jahren nach der Fälligkeit auf Seiten des Gläubigers, unkünd-
bare, also solange nicht von der Kündbarkeit Seitens des Reiches Gebrauch gemacht
r ahnals. Auch dies entspricht dem allgemeinen Rechte (Bürgerliches Gesetzbuch
195)0.
Das Aufgebot und die Kraftloserklärung verlorener oder vernichteter Schuld-
urkunden find in den Anleihegesetzen geregelt. Diese Gesetze nehmen für diese
Regelung auf § 6 des Gesetzes vom 9. November 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 157)
und das Gesetz, betreffend das Aufgebot und die Amortisation verlorener oder ver-
nichteter Schuldurkunden des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches,
1 Oben S. 261.