448 Achtes Buch. Reichskriegswesen.
Die Gerichtsbarkeit stand in der Regel den Befehlshabern der Corps,
Divisionen und Regimenter zu nach den von den Bundesstaaten gegebenen Be-
stimmungen. Doch konnte der Oberfeldherr ein summarisches Verfahren instruiren
lassen; dann aber mußten die Angeklagten nebst den Untersuchungsacten an ihre
gerichtliche Behörde zur Aburtheilung überwiesen werden. Diejenigen Individuen,
welche vermöge freier Uebereinkunft dem Hauptaquartier folgten, sowie auch Fremde
und Kriegsgefangene standen unter der Gerichtsbarkeit des Hauptquartiers und
wurden nach den Gesetzen des Staates gerichtet, von welchem der Oberfeldherr war.
Gegen die Verbrechen des Meineids, des Verraths, der Fahnenflüchtigkeit und In-
subordination wurden im Bundesheere durch besondere Kriegsartikel Strafbestim-
mungen getroffen, welche in dem gesammten Kriegsheere als gleichförmiges Gesetz
galten. Die hierin nicht genannten Vergehen wurden nach den Gesetzen beurtheilt,
welche bei den Contingenten der einzelnen Staaten galten. „Der Oberfeldherr
kann das Standrecht, nämlich den summarischen, außerordentlichen Prozeß,
gegen Militairs in allen jenen außerordentlichen Fällen anordnen, in welchen
schnelle Bestrafung des Beispiels wegen nöthig wird und in den Gesetzen der ver-
schiedenen Bundesstaaten nicht ohnehin schon das Standrecht festgesetzt ist !.“ Auch
hatte er das Recht, „das Martialgesetz, d. h. das summarische, peinliche Ver-
fahren, gegen den Bürger in Feindesland zu verkünden und in Folge dessen das
Standrecht anzuordnen“. In den Bundesstaaten sollte dies jedoch nur nach ge-
pflogenem Benehmen mit den betreffenden Regierungen und erhaltener Zustimmung
derselben geschehen. Zur Handhabung der Heerespolizei sollte eine eigene Gen-
darmerie errichtet werden.
Ueberblickt man diese Vorschriften, so findet sich, daß im Frieden der Bund
Rechte an die Landesherren auf die vorgeschriebene Stärke, Ausrüstung und
Ausbildung des Contingents hatte, daß er aber selbst Befehle den Con-
tingenten nicht ertheilen konnte. Alleiniger Kriegsherr war der
Landesherr, ihm und ihm allein hatten seine Truppen auf Tod und Leben zu
gehorchen. Kam er in einen Streit mit dem Bunde, so geboten Recht, Eid und
Pflicht den Truppen, nicht dem Bunde, sondern ihrem Landesherrn bis in den Tod
und unbedingt zu gehorchen. Es bestand daher im Jahre 1866 auch kein Zweifel,
daß nicht der Beschluß der Bundesversammlung vom 14. Juni 1866 , sondern der
Wille der Landesherren darüber entschied, ob die einzelnen Contingente für oder
gegen den Bund fochten. Das Heer, das dem Deutschen Bunde zur Verfügung
stand, war daher kein einheitliches, sondern in Wahrheit ein Contingentsheer. Der
Bund konnte Execution selbst mann militari gegen jeden Bundesstaat vollstrecken,
der sein Contingent nicht ihm zur Verfügung stellte; den Contingenten selbst
konnte zunächst nur der Landesherr, nicht der Bund Befsehle ertheilen. Beschloß
der Bund die Mobilmachung, so waren die Landesherren der mobil erklärten
Contingente dem Bunde gegenüber verpflichtet und verantwortlich, diese Contingente
in vorschriftsmäßiger Menge und Ausrüstung dem Bunde rechtzeitig zur Verfügung
zu stellen und sie dem Oberfeldherrn, wenn ein solcher ernannt war, anzuvertrauen.
Aber erst wenn und nachdem der Landesherr solches gethan hatte, hatten der
Bund und seine Organe ein unmittelbares Befehlsrecht an den Contingenten.
Selbst im Mobilmachungsfalle und selbst nach der Ab= und Unterordnung der
Truppen unter den Bund, selbst noch mitten im Kriege blieb der Landesherr der
Inhaber aller militärischen Befehlsgewalt über sein Contingent. Selbst mitten im
Kriege stand dem Bunde gegen Verletzung der Bundespflichten kein anderes Rechts-
mittel zu Gebote als die Execution gegen den Staat als solchen Ö. Und so zeigte
es sich, daß, als im Jahre 1866 die Bundesversammlung die Mobilmachung gegen
Preußen beschloß, die Truppen der mit Preußen verbundenen Staaten ohne Schwanken
gegen den Bund das Schwert zogen.
Die Reichsverfassung vom 28. April 1849“ entzog den Oberbefehl und den
unmittelbaren Befehl über die Truppen, sowie das Recht über Krieg und
achariä, II, S. 828. s Ebenso anel. Staatzrecht, I, S. 484.
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