450 Achtes Buch. Reichskriegswesen.
Truppen anders als Preußen oder gar gegen Preußen befehligt. Geschieht dies,
so gilt Preußens Befehl auf Leben und Tod gegen Jedermann. Das gehörte zu
den obersten Aufgaben, die sich die Bündnißverträge stellten, in diesem Sinne ein
einheitliches Heer zu schaffen.
Nun bestimmt die Verfafsung des Deutschen Reiches im Einklang mit derjenigen
des Norddeutschen Bundes:
Art. 63, Abs. 1: „Die gesammte Landmacht des Reichs wird ein ein-
heitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle des
Kaisers steht.“"
Abs. 2: „Die Regimenter 2rc. führen fortlaufende Nummern durch das
ganze Deutsche Heer. Für die Bekleidung find die Grundfarben und der
Schnitt der Königlich Preußischen Armee maßgebend. Dem betreffenden
Kontingentsherrn bleibt es überlassen, die äußeren Abzeichen (Kokarden 2c.)
zu bestimmen.“
Abs. 8: „Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, dafür Sorge zu
tragen, daß innerhalb des Deutschen Heeres alle Truppentheile vollzählig
und kriegstüchtig vorhanden sind und daß Einheit in der Organisation
und Formation, in Bewaffnung und Kommando, in der Ausbildung der
Mannschaften, sowie in der Oualifikation der Offiziere hergestellt und er-
halten wird. Zu diesem Behufe ist der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch
Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu überzeugen
und die Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen.“
Abs. 4: „Der Kaiser bestimmt den Präsenzstand, die Gliederung und
Eintheilung der Kontingente des Reichsheeres, sowie die Organisation der
Landwehr, und hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Garnisonen
zu bestimmen, sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils des
Reichsheeres anzuordnen.“
Abs. 5: „Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Admini-
stration, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung aller Truppentheile des
Deutschen Heeres find die bezüglichen künftig ergehenden Anordnungen für
die Preußische Armee den Kommandeuren der übrigen Kontingente, durch
den Artikel 8 Nr. 1 bezeichneten Ausschuß für das Landheer und die Festungen,
zur Nachachtung in geeigneter Weise mitzutheilen.“
Es besteht nun bekanntlich ein alter und lebhafter Streit darüber, welchen
Charakter hiernach das deutsche Heer hat, den eines einheitlichen Heeres oder
den eines Contingentsheeres. Ersteres nehmen an: Hänel, Staatsrecht,
S. 494, Zorn, Staatsrecht, § 7, G. Meyer, Lehrbuch des Staatsrechts,
§§ 196 ff., und in Hirth's Annalen 1880, S. 337f., H. Schulze, Deutsches
Staatsrecht, II, S. 258 ff., v. Kirchenheim, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 242 ff.,
Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Bd. III, S. 29 ff., Brockhaus, Das deutsche
Heer und die Contingente der Einzelstaaten (Leipzig 1888), und Arndt, Reichs-
verfassung. Letzteres nehmen an: Seydel, Commentar, S. 8310 ff., und in Hirth's
Annalen 1875, S. 1396 ff., und Laband, II, S. 480 ff.
Die Ansicht von Seydel und Laband geht im Wesentlichen dahin: Die
verbündeten Staaten haben, soweit nicht besondere Verträge in Betracht kommen,
ihre eigene Militärh oheit behalten; nur der militärische Oberbefehl sei in die
Hände des Kaisers gelangt. Es bestehe keine Kriegsdienstpflicht gegenüber dem
Reiche, sondern nur gegenüber dem Staate; der Fahneneid werde dem Landesherrn
geleistet. Bei der Marine erscheine der Kaiser als Vertreter der Verbündeten in
Bezug auf Militärhoheitsrecht, er stehe an Stelle des Kriegsherrn; dem Land-
heere gegenüber sei er lediglich Feldherr. Das deutsche Heer sei daher
ein Contingentsheer (Seydel, l. c.). Laband, S. 483 ff.: Als oberstes Princip
der Militärverfassung des Deutschen Reiches sei der Satz festzuhalten: es gebe
kein Heer des Reiches, sondern nur Contingente der Einzelstaaten.
Die Einheit der Kriegsmarine sei eine innere, untheilbare, durch Begriff und Wesen
gebotene, die Reichsarmee dagegen sei eine zusammengesetzte Einheit; die „Einheitlich-
keit“ der Landmacht des Reiches hebe die gesonderte Existenz der Contingente der