458 Achtes Buch. Reichskriegswesen.
zum Erlasse von Ausführungsverordnungen in den Militärgesetzen übertragen
worden. Rücksichtlich der Verkündung gilt, was bezüglich der Bundesrathsverord-
nungen angeführt ist. Es widerspricht auch durchaus der Praxis, anzunehmen 1,
daß Kaiserliche Verordnungen, welche Rechtssätze enthalten, stets im Reichsgesetzblatt
publicirt werden. So sind z. B. die Wehrordnungen, die vom 28. September 1875
wie die vom 22. November 1888, obgleich sie Rechtsnormen im eminentesten Sinne
enthalten, im Reichs-Centralblatt publicirt (1875, S. 534, 1889, S. 1).
Soweit sie nicht durch die Reichs-Militärgesetze und die zu deren Ausführung
erlassenen Verordnungen aufgehoben ist, gilt (abgesehen von Bayern) noch „die
gesammte preußische Militärgesetzgebung“. Art. 61, Abs. 1 der Reichs-
verfassung schreibt nämlich vor: „Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem
ganzen Reiche die gesammte Preußische Militairgesetzgebung ungesäumt einzuführen,
sowohl die Gesetze selbst, als die zu ihrer Ausführung, Erläuterung oder Ergänzung
erlassenen Reglements, Instruktionen und Reskripte, namentlich also das Militair-
Strafgesetzbuch vom 3. April 1845, die Militair-Strafgerichtsordnung vom 3. April
1845, die Verordnung über die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843, die Bestimmungen
über Aushebung, Dienstzeit, Servis= und Verpflegungswesen, Einquartierung, Ersatz
von Flurbeschädigungen, Mobilmachung u. s. w. für Krieg und Frieden. Die
Militair-Kirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen.“ Artikel 61 hatte zum Zwecke,
die Einheitlichkeit des Heerwesens im Gebiete der Gesetzgebung herbeizuführen.
Unter „Gesetzgebung“ find nach dem Wortlaute der Verfassung nicht bloß die Ge-
setze, nicht bloß die zu ihrer Ausführung, Ergänzung und Erläuterung erlassenen
Reglements, Instructionen und Rescripte, sondern überhaupt alle Bestimmungen
über Aushebung, Dienstzeit u. s. w. zu verstehen.
Durch die Vorschrift, daß die gesammte preußische Militärgesetzgebung in das
ganze Reichsgebiet ungesäumt einzuführen sei, haben deren Bestandtheile ihre
ursprüngliche Natur nicht verloren, d. h. fie find, soweit es Verordnungen waren,
weder durch Art. 61 noch durch die gemäß Art. 61 bewirkte Einführung in die
außerpreußischen Gebietstheile des Deutschen Reiches Gesetze geworden, sondern Ver-
ordnungen geblieben und konnten und können daher, soweit nicht inzwischen eine
reichsgesetzliche Regelung erfolgt ist, im Verordnungswege wieder abgeändert
und aufgehoben werden. Es ergiebt sich dies auch aus der Erklärung, welche der
Regierungskommissar Kriegsminister Graf Roon im verfassungsberathenden
Reichstage am 5. April 18672 abgab: „Es hat keine andere Absicht vorgelegen
als diejenige, die eben der Vorredner (Forkel) als zweckmäßig bezeichnet hat.
Wir wollen die preußischen Gesetze und die preußischen Verordnungen, Reglements
und Instructionen ausgenommen wissen in allen denjenigen Armeetheilen, die dem
Bundesheere neu zugehen, und wir wünschen, daß sie in volle Geltung durch diese
Verfassung gesetzt werden; natürlich auch insoweit es Instructionen, Vorschriften
und Reglements find, selbstverständlich immer nur insoweit, als es zweckmäßig ist,
sie für die Folge immerhin zu behalten. Natürlich muß dem Bundesfeldherrn in
Bezug auf Vorschriften die Hand freigelassen werden. Es geht nicht an, daß
diesem Artikel die Deutung beigelegt werde, daß mit seiner Annahme nun alle Rescripte
auf einmal Bundesgesetz wären. Das war nicht die Absicht“.“
Für die Frage, welche der auf Grund des Art. 61 eingeführten Bestimmungen
als Gesetze und welche als Verordnungen anzusehen sind, d. h. welche nur durch
Reichsgesetze oder welche auch im Verordnungswege abgeändert werden können, sollen
nach der Ansicht der Theorie die allgemeinen staatsrechtlichen Prin-
cipien maßgebend sein, zu denen vermeintlich gehöre, daß „Rechtsvorschriften“,
also Vorschriften, die nicht „innerhalb der Verwaltung wirksam find“", sondern den
Unterthanen im Allgemeinen oder gewissen Klassen derselben Verpflichtungen auf-
erlegen, der Gesetzesform bedürfen, falls nicht ihr Erlaß im Verordnungswege in
1 Wie dies z. B. Laband, Reichsstaatss Siehe auch Arndt, Verordnungerecht,
recht, II. S. 497, thut. . Seydel, in Hirth's Annalen 1875, S. 1418.
2 Sten. Berichte S. 581. * Z. B. Laband, II, S. 494.
* D. h. solche, die keine Gesetzesform haben.