462 Achtes Buch. Reichskriegswesen.
ordnung nichts enthalten, was der Verfassung oder den Gesetzen des Deutschen
Reiches widerspricht. Das Recht des Königs, Gegenstände im Verordnungswege zu
regeln, z. B. das Militärpensionswesen, hörte auf, sobald die Materie reichsgesetzlich
geregelt war. Außerdem müssen sich die Königlichen Verordnungen, z. B. die Heer-
ordnung, innerhalb der reichsgesetzlichen Vorschriften halten. Die Weiterbildung des
Militärrechts im Verordnungswege nahm und nimmt ab, weil der Reichstag
sein Geldausgabebewilligungsrecht gebraucht, um die Reichsregierung zu
nöthigen, die Angelegenheiten auf dem Gesetzeswege zu regeln. Dies war z. B.
beim Militärpensionswesen der Fall.
Für die Verordnungen zur Einführung der nach dem Inkrafttreten der
Bundes= bezw. Reichsverfassung erlassenen preußischen Verordnungen in das
übrige Bundes-(Reichs-) Gebiet bestimmt Art. 63, (5.) letzter Absatz: „Behufs Er-
haltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, Verpflegung, Bewaffnung
und Ausrüstung aller Truppentheile des Deutschen Heeres find die bezüglichen
künftig ergehenden Anordnungen für die Preußische Armee den Kommandeuren der
übrigen Kontingente, durch den Artikel 8 Nr. 1 bezeichneten Ausschuß für das
Landheer und die Festungen, zur Nachachtung in geeigneter Weise mitzutheilen."
Hieraus ergiebt sich, daß der Bund bezw. das Reich oder der Kaiser die nach
Erlaß der Bundesverfassung ergangenen Verordnungen des preußis chen Staates
(des Königs) nicht unmittelbar in den übrigen Theil des Bundes bezw. des
Reiches einführen kann. Der König von Preußen hat für den nach Inkraft-
treten der Bundesverfassung eingetretenen Rechtszustand sormell das Verordnungs-
recht für das außerpreußische Bundesgebiet nicht unmittelbar, wohl aber
materiell, weil er den Inhalt der von den Bundesstaaten (den übrigen
Contingentsherren) zu erlassenden Verordnungen feststellt, und weil diese bei Ver-
meidung der Bundesexecution verpflichtet find, die preußischen Verordnungen auch
für ihre Contingente einzuführen 1. Der letzte Absatz des Art. 63 stellt fest, daß
nicht bloß bei Beginn der deutschen Einigung (Art. 61), sondern für alle Zukunft
das deutsche Heer in der Administration, Verpflegung, Bewaffnung, Ausbildung
und Ausrüstung ein einheitliches sein soll. Nicht allerdings ist es das Reich oder
der Kaiser als solcher, welche die bezüglichen An= und Verordnungen erlafsen,
sondern Preußen, der König von Preußen. Diese Verordnungen find in der Form
und zunächst preußische, die in Sachsen und Württemberg von deren Landesherren
als sächsische und württembergische An= und Verordnungen erlassen werden. Es ist
dies aber in der Sache und sollte nur sein eine bloße Höflichkeit, eine äußere
Rücksichtnahme. Eine Verordnung, deren Inhalt und Erlaß Preußen den Con-
tingentsherren in Sachsen und Württemberg aufträgt, ist eben in der Sache eine
preußische Verordnung. Die Anordnung ist nur nach außen hin eine sächfische
oder württembergische, in der Sache ist sie eine preußische, die Preußen
jederzeit wieder ändern kann und die Sachsen und Württemberg ihrerseits genauestens
befolgen müssen und ohne Willen Preußens nicht ändern können. Der Auftrag
Preußens vollzieht sich in der Form, daß es die An= und Verordnung dem
Bundesrathsausschusse für das Landheer und die Festungen zur Nachachtung mit-
theilt. Weit entfernt davon, daß die Vorschrift in Art. 63, Abs. 5 die Ein-
heitlichkeit des Heeres widerlegt , beweist sie, daß diese einerseits Mittel-
und Zielpunkt der Reichsverfassung ist, daß aber andererseits
alle denkbaren äußerlichen Rücksichtnahmen auf die Bundesstaaten
beobachtet sind.
Es ist ein Irrthum #, anzunehmen, daß das Verfahren, welches Abs. 5 in
Art. 63 vorschreibt, niemals zur Anwendung gekommen ist. Vielmehr find auf
diesem Wege Vorschriften der wichtigsten Art in die außerpreußischen Con-
tingente eingeführt worden; so z. B. die Disciplinarordnung für das Heer vom
31. Oktober 1872, welche z. B. in Württemberg durch die württembergische Ver-
1 Arndt,. Verordnungorecht, S. 131; siehe buch d deutschen Verwaltungsrechts, I. S. 64,
auch Laband, II, S. 501. Seydel Comm., S. 360, Laband, S. 500.
2 Vgl. auch Hecker, in v. Stengel's Wörter- Z. B. von Seydel, Comm., S. 359f.