Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§6a 47. Der Kaiser und das Heer. 475 
werden, wenn es dies aus Gründen des öffentlichen Wohls für angemessen erachtet. 
2) Der Beschuldigte kann sich einen Vertheidiger wählen. Wählt er keinen, so 
muß ihm solcher vom Vorsitzenden des Gerichts in schwereren Fällen bestellt werden. 
3) Das Urtheil wird bei sofortiger nicht öffentlicher Berathung des Gerichts nach 
Stimmenmehrheit gefaßt und unmittelbar darauf dem Beschuldigten verkündet. 
4) Das Gericht kann auf Freisprechung erkennen, in welchem Falle der Angeschuldigte 
sofort der Haft zu entlassen ist, oder auf Verweisung an den ordentlichen Richter, 
wenn sich das Kriegsgericht nicht für competent erachtet, oder auf die gesetzliche 
Strafe. 5) Das Urtheil, welches u. A. die Namen der Richter, die summarische 
Erklärung des Beschuldigten, die Erwähnung der Beweisaufnahme, die Entscheidung 
über die That= und Rechtsfrage, sowie das angewendete Gesetz bezeichnen muß, 
wird von sämmtlichen Richtern und dem Gerichtsschreiber unterzeichnet. 6) Gegen 
die Urtheile der Kriegsgerichte findet kein Rechtsmittel statt. Die auf Todesstrafe 
lautenden Erkenntnisse unterliegen jedoch der Bestätigung des Militärbefehlshabers 
(& 7) und in Friedenszeiten der Bestätigung des commandirenden Generals der 
Provinz. 7) Alle Strafen, mit Ausnahme der Todesstrafe, werden binnen 
24 Stunden nach Verkündigung des Erkenntnisses. Todesstrafen binnen gleicher 
Frist nach Bekanntmachung der erfolgten Bestätigung an dem Angeschuldigten zum 
Vollzuge gebracht. 8) Die Todesstrafe wird durch Erschießen vollstreckt. Sind 
Erkenntnisse, welche auf Todesstrafe lauten, bei Aufhebung des Belagerungszustandes 
noch nicht vollzogen, so wird diese Strafe von den ordentlichen Gerichten in die- 
jenige Strafe umgewandelt, welche, abgesehen von dem Belagerungszustande, die 
gesetzliche Folge der von dem Kriegsgerichte als erwiesen angenommenen That ge- 
wesen sein würde (§ 13 des Gesetzes vom 4. Juni 1851). Die Wirksamkeit der 
Kriegsgerichte hört mit der Beendigung des Belagerungszustandes auf (§ 14). Nach 
aufgehobenem Belagerungszustande werden alle vom Kriegsgerichte erlassenen 
Urtheile sammt Belagstücken und dazu gehörigen Verhandlungen, sowie die noch 
schwebenden Untersuchungssachen an die ordentlichen Gerichte abgegeben; diese haben 
in den von dem Kriegsgerichte noch nicht abgeurtheilten Sachen nach den ordent- 
lichen Strafgesetzen und nur in den Fällen des § 9 (des Gesetzes vom 4. Juni 
1851) Jach den in diesen getroffenen Strafbestimmungen zu erkennen (§ 15 des 
Gesetzes). 
Nach dem Wortlaute der Reichsverfassung kann der Kaiser den Kriegszustand 
erklären. Es fragt sich, ob auch die Landesherren dies noch thun dürfen 7.H 
Dafür scheint zu sprechen, daß die Landesherren alle Befugnisse behalten haben, die 
ihnen nicht ausdrücklich entzogen sind. Dagegen spricht nicht, daß die Verhängung 
des Belagerungszustandes die Suspendirung reichsgesetzlicher Vorschriften, z. B. über 
die Presse, den Gerichtsstand, bedeutet, zur Suspendirung reichsgesetzlicher Vor- 
schriften aber Landesherren nicht zuständig find ?. Denn erstens kann auch der Kaiser 
ohne gesetzliche Ermächtigung keine Reichsgesetze suspendiren, sodann und vor Allem 
wird durch die Verhängung des Kriegszustandes keine Suspension von Reichsgesetzen 
bewirkt, da die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 16) und des Gelehe 
über die Presse vom 7. Mai 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 65), § 30, Abs. 1, für 
die Fälle und Dauer des Kriegszustandes nicht gelten, so daß sie also gar nicht 
erst suspendirt zu werden brauchen. Dafür, daß nur der Kaiser den Kriegszustand 
erklären kann, läßt sich mit durchschlagender Wirkung auch nicht § 4 des Ein- 
führungsgesetzes zum Strafgesetzbuch anführen, da es immerhin denkbar wäre, daß 
neben dem Kaiser noch ein Anderer den Kriegszustand erklären könnte, ohne daß 
in einem solchen Falle die Strafschärfung eintritt, welche die Erklärung durch den 
Kaiser bewirkt. Entscheidend spricht gegen das Recht der Landesherren, daß die Er- 
klärung des Kriegszustandes den Uebergang der Civil= auf die Militärgewalt be- 
deutet, daß aber der Kaiser den Befehl über die Truppen unbedingt hat, daß diese 
Gehorsam den Befehlen des Kaisers leisten müssen, daß sie den Landesherren zwar 
  
1 Dies nehmen u. A. an v. Mohl, Staats= /(8. Aufl.), Anm. zu § 16 des Gerichtsverfassungs- 
recht, S. 900, G. Meyer, in Hirth's Annalen gesetzes. 4 
1880, S. 347, Löwe, Strafproceßordnung 2 Hänel, Staatsrecht, § 73.
	        
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