44 Erstes Buch. Entstehnug des heutigen Deutschen Reiches.
der die Abstimmung im Bundesrath als einen Formalact bezeichnet). Dagegen
ist es als fraglich hingestellt worden, ob die Vollmacht des Bundesrathsmitgliedes
gegenüber seinem Souverän und seinem Heimathstaate mit Wirksamkeit beschränkt
werden kann. Diese Frage ist aber zu bejahen. Denn einmal bestimmt die
Reichsverfassung, daß das Bundesrathsmitglied instruirt werden kann (Artikel 7,
Absatz 3, „instruirte Stimmen"), woraus sich ergiebt, daß das Mitglied
nach Instruction zu stimmen hat. Sodann soll das Mitglied nicht seine, son-
dern seines Staates Ansicht aussprechen (vergl. die Erklärungen des Fürsten
Bismarck am 19. April 1871 in den Sten. Berichten des Reichstages, S. 298).
Hiernach muß es als unzweifelhaft bezeichnet werden, daß der Bundesrathsbevoll-
mächtigte für seine Erklärungen und Abstimmungen im Bundesrath zur Rechen-
schaft gezogen werden kann. Ein Bundesrathsmitglied, welches gegen die ihm
ertheilte Instruction stimmt, unterliegt der Disciplinirung nach Maßgabe der
Gesetze seines Staates. Ist es ein Staatsminister, so kommen die Regeln, welche
sein Staat über Ministerverantwortlichkeit aufstellt, ihm gegenüber zur An-
wendung.
Es erscheint ferner fraglich, ob das Bundesrathsmitglied, wenn es Minister
ist, dem Landtage seines Heimathsstaates und ob, wenn es seine Instructionen von
seinem Minister erhalten hat, dieser dem Landtage für die Abstimmung im
Bundesrath und die Instruction verantwortlich ist. Einige Staatsrechtslehrer,
z. B. v. Seydel, Commentar zur Reichsverfassung, S. 132, verneinen jede Ver-
antwortlichkeit. Andere, wie v. Rönne, Reichsstaatsrecht, § 22, S. 203, Hänel,
Vertragsmäßige Elemente, S. 221, G. Meyer, Staatsrecht, § 186, S. 596,
Riedel, Commentar zur Reichsverfassung, S. 26, nehmen nur eine politische
Verantwortlichkeit an. Noch andere Staatsrechtslehrer, R. v. Mohl, Reichs-
staatsrecht, S. 277, H. Schulze, Preußisches Staatsrecht, § 265, v. Sarwey,
Württembergisches Staatsrecht, II, S. 82 ff., s. auch Laband, Reichsstaatsrecht,
1, S. 91, nehmen eine rechtliche Verantwortlichkeit an.
Die richtige Antwort ergiebt sich aus der Betrachtung des Landesstaatsrechts.
Als die einzelnen Staaten ihrem Staatsoberhaupt in und mit der Bundes-
(Reichs-) Verfassung die Ermächtigung gaben, Bevollmächtigte zum Bundesrath zu
ernennen und durch diese Namens des Staates an der Gesetzgebung im Deutschen
Reiche Theil zu nehmen, haben sie nirgends weder ausdrücklich noch stillschweigend zu-
gegeben und bestimmt, daß diese Regierungsacte von der allgemeinen Verant-
wortlichkeit ausgenommen werden sollten. Ein solcher Verzicht auf das Recht des
Landtages, die Minister zur Verantwortung zu ziehen, ist den Landtagen nicht
einmal angesonnen, geschweige denn von ihnen zugestanden worden. Das Gegen-
theil eines solchen Verzichtes ergiebt sich auch aus den parlamentarischen Verhand-
lungen. So sagte Fürst Bismarck am 27. März 1867 vor dem verfassungs-
berathenden Reichstage (Sten. Berichte 1, S. 393 ff.), daß die Verantwortlichkeit
der preußischen Ministerien genau dieselbe bleibe wie vorher. „Es liegt,“ fügte
er hinzu, „zweifellos auf der Hand, daß in dem verfassungsmäßigen Maße von
Ministerverantwortlichkeit, dessen sich die gesammten Bundesstaaten erfreuen, nichts
geändert wird, indem jede Regierung eines Einzelstaates verantwortlich bleibt für
die Art, wie ihre Stimme im Bundesrath abgegeben wird.“ Gleiche Ansichten
vertrat Fürst Bismarck in den Sten. Berichten des ersten norddeutschen Reichs-
tages 1867, Bd. 1, S. 137, und in den Sten. Berichten des preußischen Ab-
geordnetenhauses, Bd. 1, S. 378. Im gleichen Sinne sprachen sich aus Twesten
als Berichterstatter über die norddeutsche Bundesverfassung in den Verhandlungen
des preußischen Abgeordnetenhauses am 6. Mai 1867 (Sten. Berichte S. 29) und
Lasker in der Sitzung vom 28. September 1867 des ersten norddeutschen Reichs-
tages (Sten. Berichte, Bd. I, S. 134).
Eine letzte Frage ist die, ob die Landesgesetzgebung Bestimmungen über
die Ausübung des Mitgliedschaftsrechts im Bundesrathe treffen, ob sie insbesondere
vorschreiben kann, daß z. B. ein Reservatrecht nur unter Zustimmung der Landes-
vertretung aufgegeben werden kann. Diese Frage ist wiederholt in Preußen, in
Bayern und in Baden zur Erörterung gelangt. Sie ist zu bejahen, da kein