Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

496 Achtes Buch. Reichskrieg#swesen. 
verordnungen bei sich einzuführen. Dagegen kann das Reich auch für Bayern 
Militärgesetze erlassen und hat dies gethan, ohne daß es auf die besondere Zu- 
stimmung Bayerns ankommt. Das Recht, Militärgesetze zu erlassen, wie es Art. 5 
der Reichsverfassung in Verbindung mit Art. 8, Ziff. 4 giebt, ist Bayern gegenüber 
nicht weiter eingeschränkt, als dies der Bündnißvertrag ausdrücklich vorschreibt. 
Dieser verweist auf „die verfassungsmäßige Beschlußfassung über die der Bundes- 
verfassung anheimfallenden Materien“, eximirt also Bayern zwar von dem Ver- 
ordnungsrechte des Art. 61 und des Art. 63, nicht aber von dem Reichsgesetz- 
gebungsrechte. Die Worte: „tesp. bis zur freien Verständigung bezüglich der 
Einführung der bereits vor dem Eintritt Bayerns in den Bund in dieser Hinsicht 
erlassenen Gesetze und sonstigen Bestimmungen“ stellen klar, daß Bayern, wenn 
es will, und ohne daß es auf ein Reichsgesetz wartet, die bereits vor seinem Ein- 
tritt erlassenen Militärgesetze und sonstigen Bestimmungen bei sich einführen kann, 
durch bayerisches Gesetz oder bayerische Verordnung, je nachdem das bayerische 
Landesrecht dies erfordert oder zuläßt. Selbst Seydel! giebt zu, daß die Reichs- 
militärgesetzgebung sich auch auf Bayern erstrecke, daß die in Nummer I erwähnte 
„freie Vereinbarung"“ sich nur auf die Zeit der Einführung bezieht, und daß also 
der Natur der Sache nach es sich nur um eine billige Rücksichtnahme auf das 
Interesse Bayerns, nicht um ein Veto dieses Staates gegen die Einführung solcher 
Gesetze handle. Richtig ist, daß der Reichsgesetzgeber ausf das Interesse Bayerns 
billige Rücksicht zu nehmen hat, unrichtig ist, daß über die Zeit der Einführung 
von Reichsmilitärgesetzen stets freie Vereinbarung bestimmen soll. „Die verfassungs- 
mäßige Beschlußfassung über die der Bundesgesetzgebung anheimfallenden Materien" 
ist allgemein nicht von der freien Verständigung abhängig gemacht. Diese tritt 
nur für die früheren, d. h. vor dem 1. Januar 1871 gegebenen Vorschriften 
ein. Hiernach steht der Schluß fest: Alle seit dem 1. Januar 1871 über das 
Heerwesen erlassenen Reichsgesetze haben für Bayern ebenso wie für die übrigen 
Bundesstaaten verbindliche Kraft. Annähernd giebt dies auch Seydel, Comm., 
S. 336, zu. Freilich giebt folgende Bestimmung des bayerischen Schlußprotokolls 
XIV. § 4, Abs. 1 zu Bedenken Anlaß: „Diejenigen Gegenstände des Bayerischen Kriegs- 
wesens, Betreffs welcher der Bundesvertrag vom Heutigen oder das vorliegende 
Protokoll nicht ausdrückliche Bestimmungen enthalten — sohin insbesondere die 
Bezeichnung der Regimenter 2c., die Uniformirung, Garnisonirung, das Personal-= 
und Militair-Bildungswesen u. s. w. — werden durch dieselbe nicht berührt.“ 
Es ist bereits anderweitig hervorgehoben?, daß man es hier mit einem merk- 
würdigen Wortlaute, „dieselbe“, aber keinem Druckfehler zu thun hat. Thudichum 
liest „dieselben“ und bezieht dieses Wort auf den Bundesvertrag und das 
Schlußprotokoll, Seydel bezieht „dieselbe“ auf die Reichsverfassung. Ich halte 
die Seydel'sche Auslegung für richtig. Denn Schlußprotokoll wie Bündniß- 
vertrag beziehen sich auf die Reichsverfassung. Die Vorschrift im Schlußprotokoll. 
will also sagen, daß diejenigen Gegenstände des bayerischen Kriegswesens, Bezugs 
welcher der Bündnißvertrag oder das Schlußprotokoll nicht ausdrückliche Be- 
stimmungen enthalten, so z. B. über die Bezeichnung der Regimenter, die Uni- 
sormirung, Garnisonirung, das Personal= und Militärbildungswesen, durch die 
Reichsverfassung, d. h. durch die in der Reichsverfassung über das Kriegs- 
wesen in Art. 57 ff., Abschnitt X1 gegebenen Vorschriften, nicht berührt werden, 
daß also Bayern insoweit autonom bleiben soll. Wenn indeß Seydel, Comm., 
S. 337, sich dahin ausspricht, daß die Militärgesetzgebung des Reiches sich 
nicht auf die Gegenstände erstrecken darf, über welche der bayerische Vertrag und 
das Schlußprotokoll schweigen, so ist Dem nicht zuzustimmen. Denn die Militär- 
gesetzgebung des Reiches ist keiner Beschränkung unterworfen, weder bei den 
Art. 4 und 5 noch in dem Zusatze zu Abschnitt XI der Reichsverfassung noch im 
Bündnißvertrage noch im Schlußprotokoll. Im Gegentheil läßt § 5, I des Ver- 
trages klar erkennen, daß die Reichsgesetzgebung sich auch auf Bayern miterstreckt. 
  
1 Comm., S. 335. à Thudichum, in v. Holtendorff Jahrb "% 
Iisn. S. 73, Seydel, Comm., S. 33
	        
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