510 Uchtes Buch. Reichskriegswesen.
insbesondere Preußens keine Aenderung an der Präsenz von 1 Procent vor-
genommen werden könnte. Dieser Antrag wurde mit 167 gegen 110 Stimmen
abgelehnt !1, trotzdem ihn Fürst Bismarck vertheidigte. Diese Ablehnung ist
jedoch nicht so zu verstehen, daß der Reichstag das Gegentheil von dem Antrage
gewollt und beschlossen hat. Der von ihm angenommene Compromißantrag des
Fürsten zu Hohenlohe, Herzogs von Ujest, auf den sogleich eingegangen werden soll,
trat an die Stelle des Zusatz-Amendements Stolbergs. Der Antrag Ujest, auch
Ujest-Bennigsen genannt, den die freiconservative und die nationalliberale Partei
gemeinschaftlich stellten, und der von Lasker und Graf Bethusy-Huoe vertheidigt
wurde, hat zum Inhalt die heutigen Absätze 2, 3 und 4 in Artikel 62. Den
Unterschied der Anträge Stolberg und Ujest hat Lasker, der den Antrag für
seine Partei begründete, dahin angegeben, „daß das Ausgabenbewilligungsrecht des
Abgeordnetenhauses intakt erhalten werden soll“. Den Ausführungen Lasker's
trat der Abgeordnete v. Blancken burg entgegen 3, weil Lasker nicht auf das
Ausgabebudgetrecht verzichten, weil er das Recht haben oder, wie er sich ausgedrückt
habe, behalten wolle, durch einen Budgetstrich auch über die Kopfzahlstärke des
Heeres zu verfügen. Schließlich forderte v. Blancken burg nähere Aufklärung,
wie der Antrag Ujest zu verstehen sei. Hierauf erklärte Graf Bethusy-Huc“:
„Die Amendements unterscheiden sich auch nur sehr unwesentlich. In beiden Fällen
wird die Präsenzstärke des Heeres durch ein Bundesgesetz festgestellt, und in beiden
Fällen wird die gegenwärtige Präsenzstärke so lange den Budgetverhandlungen zu
Grunde gelegt, bis ein solches Gesetz zu Stande gekommen ist. Er habe unter
Berücksichtigung der von ihm citirten Art. 53, 55, 57, 59 des ursprünglichen
Verfassungsentwurfs (Art. 57, 59, 61 und 68 der Verfassung) „nicht die geringste
Besorgniß, daß das Budgetrecht dann mit Erfolg zu etwas Anderem als zu Dem ge-
braucht werden könnte, wozu es bestimmt ist“. „Sachlich sind wir (also die freiconser-
vativen Antragsteller) mit dem Amendement Stolberg vollkommen einverstanden.“
Fürst Bismarck hatte vor Bethufy-Huc gegen das Amendement des Herzogs
von Ujest eingewendet, daß es die Möglichkeit lasse, „im Jahre 1872 einen
Budgetconflict, einen Militärconflict zu erneuern, dessen Folgen sich in diesem
Augenblicke nicht übersehen lassen“.
Bei Berathung des heutigen Art. 62, also auch des Antrages Ujest, ergriff
zunächst Schulze-Delitzsch gegen denselben wie gegen einen neuen Antrag des
Grafen Eberhard zu Stolbergs und einen ähnlichen des Grafen Otto zu
Stolberg" das Wort, weil, auch nur bei Annahme des Amendements Ujest-
Bennigsen, „wir eine Regierung bekommen, die über eine der allerwichtigsten
Branchen der Staatsverwaltung, die in der Militärverwaltung und in der Ver-
fügung über das Militärbudgetrecht absolut ist ..... Nachdem hierauf Fürst
Bismarck nochmals die Amendements der Grafen Stolberg empfohlen hatte,
wurden, unter Ablehnung aller anderen Anträge, die Absätze 2, 3, 4 des Art. 62
(Antrag Ujest) mit 206 Stimmen der Conservativen und Nationalliberalen gegen
80 Stimmen der Fortschrittspartei, Polen u. s. w. angenommen. Die Absätze 2,
3 und 4 des Art. 62 haben hiernach die Bedeutung, daß vom 1. Januar 1872
der Reichstag das Ausgabebewilligungsrecht des preußischen Abgeordnetenhauses in
Bezug auf den Militäretat haben soll. Darüber, ob der Reichstag verfassungs-
mäßig gebunden oder ganz frei sein soll in der Bewilligung der Ausgaben, ist
eine unzweideutige Erklärung nicht abgegeben. Nach dem Wortlaute ist an-
zunehmen, daß der Reichstag nicht frei sein soll. Denn es heißt zwar, daß die
Verausgabung für das gesammte Reichsheer und dessen Einrichtungen durch das
Etatsgesetz festgestellt werden soll, es ist aber im letzten Satze hinzugefügt, daß bei
1 Sten. Ber. S. 720. loaß eines Bundesgesetzes“ (Drucks. S. 16).
23 V#l. Erklärung Dr. Lasker's am 16. April Dieser wollte, daß die Berechnung der Höhe
in den Sten. Ber. S. 717. der Beiträge „nach der in Art. 60 schgens ten
*# Sten. Ber. S. 719. riedenspräsenzstärte erfolgt, ebi sp.-oan von
4 Sten. Ber. S. 719. ahr zu Jahr in Kraft bleibt, bis sie durch ein
5 Dieser beantragte, statt der Worte „bis Bundesgesetz abgeändert ist".
zum 31. Dezember 1871“ zu setzen „bis zum Er-