Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

52 Zweites Buch. Angehörige und Gebiet des Deutschen Reiches. 
Folge des Artikels 3 ist meist unbeachtet geblieben, indeß von der größten Trag- 
weite. Die Reichsangehörigen dürfen in der Ausübung der ihnen durch Artikel 8 
eingeräumten Befugnisse nach dessen ausdrücklicher Vorschrift weder durch die 
Obrigkeit ihrer Heimath, noch durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates be- 
schränkt werden. Also bestanden schon auf Grund des älteren Rechts in Verbindung 
mit Artikel 3 in fast ganz Deutschland die Freizügigkeit und die Gewerbefreiheit, 
wenn auch beide nicht in so ausgedehntem Maaße wie heute auf Grund der seit 
Erlaß der Verfassung ergangenen Bundes= bezw. Reichsgesetze. Seitdem durch das 
Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit 
vom 1. Juni 1870 die Aufnahme in jeden Bundesstaat jedem Angehörigen eines 
anderen Bundesstaates erteilt werden muß (§8 7 dieses Gesetzes), so ist fast die 
vollständige Gleichstellung der verschiedenen Staatsangehörigen erreicht. Denn, um 
in Preußen an Staats= und Gemeindewahlen Theil zu nehmen, um in Mecklen- 
burg als Rittergutsbesitzer die Landstandschaft und die Gutspolizei auszuüben, ist 
für Reichsangehörige nur nöthig, daß sie die Aufnahme in den preußischen bezw. 
mecklenburgischen Staatsverband nachsuchen, eine Aufnahme, die ihnen regelmäßig 
nicht versagt werden kann. Dagegen können z. B. Anhaltiner, die sich nicht in 
Preußen haben als Preußen aufnehmen lassen, sich nicht auf die den Preußen ein- 
geräumte Vereinsfreiheit berufen. Das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 
1877 geht noch über die Vorschrift in Artikel 3 hinaus, insofern § 5 bestimmt, 
daß, wer in einem Bundesstaate die Fähigkeit zu einem Richteramte erlangt hat, 
zu jedem Richteramte innerhalb des Deutschen Reiches befähigt ist, also auch dann, 
wenn er nicht die für Einheimische geltenden Bedingungen erfüllt, während andere 
Beamtenstellen nur dann bekleidet werden können, wenn die von dem bez. Bundes- 
staate aufgestellten Bedingungen erfüllt sind. Die Approbationen als Arzt, Apo- 
theker u. s. w. gelten nach § 29 der Gewerbeordnung für das ganze Deutsche Reich. 
Die Vorschrift in Artikel 3 der Reichsverfassung bezieht sich nur auf physische, 
nicht auf juristische Personen, da letztere nicht ausdrücklich mit aufgeführt sind, und 
die Reichszuständigkeit nur anzuerkennen ist, wo sie sich auf eine ausdrückliche Vor- 
schrift stützt; ebenso Seydel, Commentar, S. 55, Laband, Reichsstaatsrecht, 1, 
S. 170, Zorn, Reichsstaatsrecht, 1, S. 349. Daher find die landeerechtlichen 
Vorschriften, wonach juristische Personen des Auslandes nur mit Genehmigung des 
Staatsoberhauptes Grundeigenthum erwerben können, rücksichtlich der juristischen 
Personen der übrigen Bundesstaaten in Kraft geblieben; anerkannt in den Gründen 
zum Beschluß des Kammergerichts v. 14. März 1898, preuß. Justizministerialbl. 
1898, S. 104, s. auch Entsch, des Kammergerichts in Johow's Jahrbuch, Bd. XVI, 
S. 72, ferner den Allerh. Erl. v. 14. Febr. 1882, Preuß. Ges.-S. S. 18. Im Sinne 
des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist Inländer jeder Reichsangehöriger; 
ausländische Vereine gelten im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs als rechtsfähig, 
wenn ihre Rechtsfähigkeit durch Beschluß des Bundesraths anerkannt ist (Art. 10 
des Einführungsges. zum Bürgerl. Gesetzb.). Dagegen macht es für den Gewerbebetrieb 
juristischer Personen keinen Unterschied, ob fie in diesem oder jenem Bundesstaate 
anerkannt find, wie sich aus dem Inhalt des § 12 der Gewerbeordnung ergiebt. 
Der in Artikel 3 der Reichsverfassung rücksichtlich der Armenversorgung 
gemachte Vorbehalt ist durch das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 
6. Juni 1870 — abgesehen von Bayern — hinfällig geworden (§ 1 dieses Ge- 
setzes). Seitdem find die Reichsangehörigen — abgesehen von den Bayern — hin- 
sichtlich der Armenversorgung gleichgestellt. 
Der letzte Absatz in Artikel 3 bestimmt sodann, daß dem Auslande gegenüber 
alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reiches haben. Seydel, 
Bayerisches Staatsrecht, I. S. 570, fieht in dieser Vorschrift lediglich eine Auf- 
gabe des Reichs, Laband, l, S. 135, eine verfassungsmäßig anerkannte 
Rechtspflicht des Reichs. Der Schwerpunkt der Vorschrift liegt in dem Worte 
„gleichmäßig“". Es soll durch Artikel 3 zum Ausdruck gebracht werden, daß 
sich das Deutsche Reich des Bayern ebenso wie des Preußen annehmen muß. 
Ueber die Befugniß aller Reichsangehörigen, überall im Reiche sich nieder- 
zulassen und aufzuhalten, sowie der Militärpflicht zu genügen, über das Verbot,
	        
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