Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 53. Militärstrafrecht nud Militärstrafverfahren. 575 
entschuldigter kann vorgeführt oder verhaftet werden (§ 278). Die Hauptverhandlung 
erfolgt öffentlich (§ 282); doch kann die Oeffentlichkeit wegen Gefährdung der 
öffentlichen Ordnung, militärdienstlicher Interessen oder der Sittlichkeit durch Be- 
schluß des Gerichts ausgeschlossen werden (§ 283). Der Kaiser kann nach § 283, 
Abs. 2 und § 8 des Reichs-Militärgesetzes allgemeine Vorschriften erlassen, unter 
welchen Voraussetzungen das Gericht die Oeffentlichkeit wegen Gefährdung der 
Disciplin auszuschließen hat. Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen ist activen 
Militärpersonen nur insoweit gestattet, als sie im Range nicht unter dem Range 
des Angeklagten bezw. des höchstgestellten Mitangeklagten stehen (§ 287). 
Die Urtheilsfindung steht den erkennenden Gerichten zu, die hierbei dem Gerichts- 
herrn nicht unterstellt und nur dem Gesetz unterworfen sind. Erkennende Gerichte sind 
die Stand-, die Kriegs-, Feld-, Bord-, Oberkriegsgerichte und das Reichsmilitär= 
gericht. Letzteres hat seinen Sitz in Berlin (für den Kriegsfall kann es der Kaiser 
verlegen) und ist ein ständiges Gericht. Die übrigen treten nur auf Anweisung 
des Gerichtsherrn zusammen; doch wird eine Art Ständigkeit dadurch geschaffen, 
daß die zum Gerichtsdienst vom Gerichtsherrn bestellten Officiere alljährlich für 
das ganze laufende Jahr im Voraus, beim Reichsmilitärgericht auf zwei Jahre 
bestimmt werden. Die Standgerichte, welche etwa den Schöffengerichten entsprechen, 
entscheiden in der Besetzung von drei Officieren, die Kriegsgerichte in der Besetzung 
von fünf Richtern, nämlich bei leichteren Fällen vier Officieren und einem Kriegs- 
gerichtsrath, bei schwereren Fällen zwei Kriegerichtsräthen und drei Officieren. Die 
Oberkriegsgerichte bestehen aus sieben Richtern, und zwar aus zwei Oberkriegs- 
gerichtsräthen und fünf Officieren (§ 66). Die Kriegsgerichtsräthe und die Ober- 
kriegsgerichtsräthe müssen die Befähigung zum Richteramte haben (§ 94); auf sie 
finden die §§ 6, 7, 9 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwendung. Die 
Kriegsgerichtsräthe und die Oberkriegsgerichtsräthe haben, soweit sie nicht als 
Richter bei den erkennenden Gerichten mitwirken, den Anweisungen des Gerichts- 
herrn Folge zu leisten, besitzen aber im Uebrigen die Immunitäten der ordentlichen 
Richter (Nichtab= und Nichtversetzbarkeit), s. § 96, und das Gesetz, betreffend die 
Dienstvergehen der richterlichen Militärjustizbeamten und die unfreiwillige Ver- 
setzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 1. Dezember 
1898 (N.-G.-Bl. 1898, S. 1297). 
Die Ernennung der Oberkriegsgerichtsräthe und der Kriegsgerichtsräthe erfolgt 
durch den zuständigen Contingentsherrn, in der Marine durch den Kaiser (§ 93). 
Die Gerichtsofficiere, Kriegsgerichtsräthe u. s. w. sind zu vereidigen (§§ 73, 101, 
296 a. a. O.). 
Das einzig ständige Militärgericht ist das Reichsmilitärgericht, das, 
abgesehen von den ihm durch besondere Bestimmung der Militärstrafgerichtsordnung 
zugewiesenen Entscheidungen und Geschäften, für die Verhandlung und Entscheidung 
über das Rechtsmittel der Revision zuständig ist (§ 71). An seiner Spitze steht 
als Präsident ein vom Kaiser ernannter General oder Admiral mit dem Range 
eines commandirenden Generals. Ihm steht die Leitung der Geschäfte zu; an der 
Rechtsprechung nimmt er nicht Theil (§ 73). Bei dem Reichsmilitärgericht werden 
Senate gebildet. Für das bayerische Heer ist durch Gesetz vom 9. März 1899 
(R.-G.-Bl. 1899, S. 135) ein besonderer Senat beim Reichsmilitärgericht ein- 
gerichtet. Jeder Senat besteht aus einem Senatspräsidenten und der erforderlichen 
Zahl von Räthen und Officieren. Die Zuziehung von Hilfsrichtern an Stelle der 
Senatspräsidenten und Räthe ist unzulässig. Die militärischen Mitglieder des 
Reichsmilitärgerichts, welche sämmtlich mindestens im Range der Stabsofficiere 
stehen müssen, werden vom Kaiser auf Vorschlag der Contingentsherren auf die 
Dauer von mindestens zwei Jahren bestimmt. Der Senatspräsident und die Räthe 
werden vom Kaiser auf Vorschlag des Bundesraths bestimmt. In den Senaten 
führt der rangälteste Officier den Vorfitz; der Senatspräsident leitet die Verhand- 
lungen. Die Senate beschließen und entscheiden in der Besetzung von vier mili- 
tärischen und drei juristischen Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. Sie 
beschließen und entscheiden in der Besetzung von vier juristischen und drei militärischen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.