§ 59. Die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. 643
recht spätestens mit dem gleichen Zeitpunkt, bezüglich der Ansprüche auf das Dienst-
einkommen (in Ermangelung besonderer Festsetzungen) schon mit dem Tage des
Amtsantritts.
Auf beiden Seiten liegen obligationes ex lege vor. Ein Vertragsverhältniß
kann fehlen. So kann der Gesetzgeber dem Ansteller und dem Angestellten ohne
deren Wissen und jedenfalls ohne deren Willen ein Beamtenverhältniß, ein wechsel-
seitiges Gewaltsverhältniß auferlegen. Der Angestellte kann sich diesem (wenigstens
meist) durch Austritt beliebig entziehen, der Anstellende sieht sich einer lex cogens
gegenüber. Wenn es vom Willen der Betriebsleiter abhinge, würde schwerlich
durch Vertrag den Steigern, Rottenarbeitern u. s. w. die Beamtenqualität beigelegt sein.
Pflichten des Beamten.
„Jeder Reichsbeamte hat die Verpflichtung, das ihm übertragene Amt der Ver-
fassung und den Gesetzen entsprechend gewissenhaft wahrzunehmen“ (§ 10). Der
Regierungsentwurf hatte hinter dem Worte: „Gesetzen“ noch die Worte „und
sonstigen Anordnungen“. Der Reichstag setzte dahin: „.und die von seinen Vor-
gesetzten innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen dienstlichen Anordnungen“. Die
verbündeten Regierungen erklärten diesen Zusatz für unannehmbar, weil darin eine
direkte Aufforderung an jeden Beamten liege, die Anordnungen seiner Vorgesetzten,
ehe er ihnen nachkomme, einer Prüfung zu unterziehen, ob sie auch mit der Com-
petenz des Anordnenden vereinbar seien, wodurch innerhalb derjenigen Beamten-
klassen, bei denen es auf eine schleunige Executive ankomme, leicht ein Zustand der
Auflösung der ganzen bestehenden Organisation herbeigeführt werden könne. Bei
der dritten Lesung einigte man sich auf die jetzige Fassung, welche zwar die „dienst-
lichen Anordnungen“ nicht besonders erwähnt, sie aber damit keineswegs ausschließen
will I. Daraus wie aus allgemeinen Grundsätzen folgt, daß der Beamte nicht blos
den (formellen) Gesetzen, sondern auch den zu Recht erlassenen Verordnungen (Ver-
waltungsvorschriften) 2, wie den auf Grund der Gesetze erlassenen, überhaupt allen
gesetzmäßigen Anordnungen seiner Vorgesetzten Folge zu leisten hat. Die Pflicht
des Beamten zur Folgeleistung beschränkt sich auf dienstliche Anordnung und
erstreckt sich nicht auf außerdienstliche Anordnungen. Der Beamte hat zu
prüfen, ob im Allgemeinen, in abstracto, der Vorgesetzte zu Anordnungen der be-
regten Art befugt ist, nicht ob im besonderen Falle, in concreto, die Anordnung
berechtigt ist53. Zweifellos hat der Beamte auch zu prüfen, ob die Anordnung in
der gehörigen Form erlassen ist.
Sodann verpflichtet § 10 den Reichsbeamten, „durch sein Verhalten in und
außer dem Amte der Achtung, die sein Beruf erfordert, sich würdig zu zeigen“.
Hierzu gehört, daß er bei der Ausübung politischer Rechte sich auf die Bethätigung
seiner politischen Ueberzeugung beschränkt und allen agitatorischen und reichsfeind-
lichen Bestrebungen fernbleibt". Nach § 49, Abs. 2 des Reichs-Militärgesetzes vom
2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 45) ist allen Militärpersonen (also auch den
- jede Theilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen
untersagt.
Als besondere Pflicht stellt § 11 die Amtsverschwiegenheit hin, welche
auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienste fortdauert. Diese Pflicht wird bei
Beamten des Auswärtigen Amts durch die Vorschrift in § 353a, Abs. 1 des
Strafgesetzbuchs, für Reichsbankbeamte durch die Vorschrift in § 39 des Bank-
gesetzes, für Post= und Telegraphenbeamte durch die Vorschriften in §§ 354, 355
1 S. Pieper, S. 48, Sten. Ber. S. 140 f.Binding. Handbuch des Strafrechts, Bd. I,
# S. 805 ff.; abweichend Löning, Verwaltungs-
Oben S. 200f. recht, S. 123.
2 Vgl. hierzu Erk. des Reichsgerichts vom * Vygl. hierzu Sten. Ber. S. 1983 f., Aller-
24. September und 1. und 22. November 1880, höchster Erlaß vom 4. Januar 1882 im Reichs-
Entsch. in Straff., Bd. II, S. 249, 416 559, anzeiger 1882, Nr. 6 und 22, Erk. des Ober-
ferner des Oberverwoltungsgerichts vom 24. Jan. verwaltungsgerichts vom 20. Okt. 1886, Entsch.
1894, Entsch. Bd. XXV, S. 413, Laband, I,Bd. XIV, S. 404.
§ 47, Seydel, Bayer. Staatsr., III, S. 390 ff.,
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