8 59. Die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. 653
Amte, die zugleich unter die Bestimmung des Strafgesetzbuches fallen“ 1. Denn
„mit dem Amte find theils specielle Pflichten verbunden, theils hat der Beamte
durch sein Verhalten überhaupt sich des Amtes würdig zu erweisen und die Standes-
ehre zu wahren. Es ist in beiden Beziehungen die besondere Aufsicht einer höheren
Autorität nöthig. Die letztere hat einerseits corrective Disciplin zu üben, indem
sie durch Strafen, die außerhalb des Gebietes der Kriminalität liegen, die ent-
standenen Unordnungen beseitigt, andererseits epurirende Disciplin, indem sie
die schädlichen und unbrauchbaren Elemente entfernt, ohne daß diese reinigende, im
Interesse des Dienstes nöthige Maßregel eine unter den kriminalistischen Gesichts-
punkt fallende Strafe wäre“ ?.
Die gemeinen Delicte der Beamten fallen unter das Strafgesetz" und bilden
nicht den Gegenstand des Staatsrechts. Was die besonderen Dienstvergehen an-
langt, die den Gegenstand des besonders vorgeschriebenen Disciplinarverfahrens
bilden, so besteht die Frage, ob fie die gleiche Rechtsnatur haben wie die gemeinen
Vergehen im Amte und ob das Disciplinarrecht im Grunde nur eine Art Straf-
recht, ein Specialstrafrecht für Beamte und das Disciplinarverfahren nur eine Art
Strafverfahren (eine besondere Form des Strafprocesses) ist. Die Frage hat
namentlich insoweit praktische Bedeutung, als sich nach ihrer Beantwortung auch
die Frage entscheidet, ob, wo Lücken im Disciplinarrecht vorhanden sind, subsidiär
die Vorschriften z. B. des Strafproceßrechts zur Anwendung kommen. Die Frage
wurde im Wesentlichen bejaht vom Oberverwaltungsgericht, Erk. vom 81. Oktober
1891, Entsch. Bd. XXII. S. 445, Hugo Meyer, Lehrbuch des Strafrechts,
§ 204, Labes, in Hirth's Annalen 1889, S. 213, Hälschner, Strafrecht, II,
S. 1022, Löning, Verwaltungsrecht, S. 127, G. Meyer, Lehrbuch des Staats-
rechts, § 153, und in Hirth's Annalen 1876, S. 672 ff., Zorn-v. Rönne, I,
S. 469, Jellinek, System des subjectiven öffentlichen Rechts, S. 203 ff. Dieser
Ansicht kann aber nicht beigetreten werden. Das Strafrecht hat es zu thun mit
der öffentlichen Sühne für die Verletzung der vom Staate besonders geschützten
Rechtsgüter, das Disciplinarrecht hat lediglich zum Gegenstand „die Ordnung und
Reinhaltung des öffentlichen Dienstes““ oder „die Mittel zur Erhaltung der
Zucht und Ordnung innerhalb des Dienstverhältnisses zur Sicherung der Erfüllung
der Dienstpflichten“ 5. Im Wesentlichen folgen dieser Ansicht Rehm, in Hirth's
znnalen 1885, S. 191, Harseim, in v. Stengel's Wörterbuch, 1, S. 67 ff.,
267 ff.
Das gemeine Strafrecht hat es zu thun mit Handlungen, die unbedingt zu
verfolgen und zu ahnden find, ohne daß der Zuwiderhandelnde sich der Verfolgung
oder Ahndung rechtlich entziehen kann. Das Disciplinarrecht ist gar kein Straf-
recht und hat einen ganz anderen Rechtscharakter, nämlich den folgenden: an sich
sollte oder könnte der Staat als Ansteller ebenso willkürlich und einseitig das An-
stellungsBeamten-yverhältniß lösen, wie dies ein Privatmann als Ansteller kann
oder wie der Angestellte (Beamte oder Privatmann) jederzeit, beliebig und will-
kürlich die Anstellung aufgeben kann, vorausgesetzt, daß er die bis dahin ihm er-
wachsenen Pflichten erfüllt hat“. Das Reich, die Bundesstaaten und die Ge-
meinden können keinen Beamten daran hindern, von seinem Amte wegzubleiben
(nach Reichsbeamtengesetz §§ 75 und 100). Das Reich und die Bundesstaaten
aber sollen aus wohlerwogenen, im Interesse der Beamten und in ihrem eigenen
Interesse liegenden Gründen, ihrerseits weit weniger Rechte haben als der Beamte,
sie sollen an ihn gebunden sein, falls er — was ihnen als Regel vorgeschrieben
1 Motive S. 74. 5 Laband, I, § 48, S. 441; doch leugnet
2 Motive S. 73. und verkennt L. ihren Personalcharakter“ nicht
„s Vgl. 8§ 332, 334, 336, 339, 106, 107, 167, und bezeichnet (S. 440) das Disciplinarstrafver-
253, 7 341, 342, 343, 344, 345, 346, 347,|fahren als eine Abart des Strafprocesses, wider-
348, 349, 350, 351, 352, 353, 353a, 354, 355 spricht sich also. !§*
des Strafgesetzbuchs. 6 S. auch Rehm, in Hirth's Annalen 1885,
4 Pieper, S. 223, Reichstagsverhandlungen S. 205, Anm. 2, Laband, 1, § 52. Dagegen
1883/84, Bd. III, S. 2094. G. Meyer, Staatsrecht, § 152.