Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

658 Neuntes Buch. Die Reichsbeamten und die Reichsbehörden. 
der Bundesrath die Geschäftsordnung für die Disciplinarbehörden vom 18. April 1880 
erlassen 1. Bei der mündlichen Verhandlung vor der Disciplinarkammer trägt der 
Staatsanwalt den wesentlichen Inhalt der Anschuldigungsschrift vor, worauf der 
etwa erschienene Angeschuldigte vernommen wird. Darauf trägt ein aus den Mit- 
gliedern ernannter Referent? eine Darstellung der Beweisaufnahme vor. Zum 
Schlusse werden der Staatsanwalt und der Angeschuldigte bezw. dessen Vertheidiger 
gehört, wobei dem Angeschuldigten das letzte Wort zusteht (§ 104). Die Dis- 
ciplinarkammer, welche auch noch Beweiserhebungen veranlassen kann, trifft ihre 
Entscheidung, ohne an positive Beweisregeln gebunden zu sein, nach ihrer freien, 
aus dem Inbegriffe der mündlichen Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueber- 
zeugung (§ 108). Die Entscheidung ist mit Gründen zu versehen, eine Aus- 
fertigung dem Angeschuldigten zu ertheilen. 
Gegen die Entscheidung der Disciplinarkammer steht sowohl dem An geschuldigten 
wie dem Staatsanwalt, diesem aber nur zu Ungunsten des Angeschuldigten, die 
Berufung an den Disciplinarhof offen. In der Berufung können auch neue That- 
sachen angeführt werden, nur nicht solche, welche die Grundlage einer anderen Be- 
schuldigung bildens (§ 110). Die Anmeldungsfrist beträgt vier Wochen, welche 
Frist für den Staatsanwalt vom Tage der Verkündigung, für den im Inlande 
wohnenden Angeschuldigten vom Tage nach der Zustellung der Entscheidung be- 
ginnt (§ 111). Zur schriftlichen Rechtfertigung der Berufung wie zur Beant- 
wortung der Rechtfertigungsschrift ist eine vierzehntägige Frist gegeben, an deren 
Nichtinnehaltung Rechtsfolgen nicht geknüpft werden (§8 112, 113). 
Der Disciplinarhof, dessen Mitglieder gleichfalls vom Bundesrath gewählt 
und vom Kaiser ernannt werden, besteht aus elf Mitgliedern, von denen wenigstens 
vier zu den Bevollmächtigten zum Bundesrathe, der Präsident und wenigstens fünf 
zu den Mitgliedern des Reichsgerichts gehören müssen. Die mündliche Verhandlung 
und Entscheidung erfolgt durch sieben Mitglieder. Der Vorsitzende und wenigstens 
drei Beisitzer müssen zu den richterlichen Mitgliedern gehören (§ 91). Die münd- 
liche Verhandlung beginnt mit der Sachdarstellung des Referenten und entspricht 
im Uebrigen der Verhandlung vor der Disciplinarkammer. Der Disciplinarhof 
kann das Urtheil der Disciplinarkammer, wenn es an einem wesentlichen Mangel 
litt, aufheben und die Sache zurückverweisen oder sofort und selbst entscheiden. 
Die Bestätigung der Disciplinarerkenntnisse durch den Kaiser findet nicht statt; 
doch hat der Kaiser (§ 118) das Recht, die von den Disciplinarbehörden verhängten 
Strafen zu erlassen oder zu mildern. Diese Milderung kann auch in nach- 
träglicher Belassung eines Theiles des gesetzlichen Pensionsbetrages oder in Erhöhung 
des von dem Disciplinarrichter gewährten Pensionsbetrages bestehen, vorausgesetzt, 
daß der Angeschuldigte überhaupt pensionsberechtigt ist. 
Bei Militärbeamten, welche ausschließlich unter Militärbefehlshabern stehen“, 
verfügt der commandirende General des Armeecorps bezw. der Chef der Admiralität 
die Einleitung der Untersuchung und ernennt den Untersuchungsbeamten (§ 120). 
Die entscheidende Disciplinarbehörde erster Instanz ist die Militär-Disciplinar= 
kommission, deren Mitglieder von der obersten Reichsbehörde ernannt werden. In 
zweiter Instanz entscheidet der Disciplinarhof. Die Verrichtungen der Staats- 
emalsast werden vom Corps= bezw. vom Marinestations-Auditeur wahrgenommen 
123). 
Für jedes Disciplinarverfahren werden weder Gebühren noch Stempel, sondern 
nur baare Auslagen in Ansatz gebracht, über deren Erstattungspflicht das Disciplinar-= 
erkenntniß entscheidet (§ 124). Nur im Falle der Verurtheilung im förmlichen 
Disciplinarverfahren kann die Erstattung dem Angeschuldigten auferlegt werden. 
  
1 Reichs-Centralbl. 1880, S. 203. Er hat m Und selbst dann nicht, wenn fie erst nach 
der vom Disciplinarhof entworfenen die Be-dem Urtheil eingetreten find. 
stätigung ertheilt. ç 4 S. oben S. 558 f. 
: Dies kann auch der Untersuchungsrichter sein.
	        
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