Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

662 Neuntes Buch. Die Reichsbeamten und die Reichsbehörden. 
eine Frage des öffentlichen Rechts — wie das Reichsgericht in dem Erkenntnisse 
vom 5. Februar 1885 (Entsch. in Civilsachen, Bd. XII, S. 148) anzunehmen 
scheint —, sondern um die Frage, ob ein Ein= oder Uebergriff der Verwaltung in 
die Justiz, der nur ausnahmsweise in bestimmten Fällen geleflic statthaft ist, im 
gegebenen Falle zulässig, d. h. ob im gegebenen Falle die gesetzliche Regel — der 
Rechtsweg — statthaft ist. Ein wegen Fehlens der gesetzlichen Vorbedingungen 
unstatthafter Defectenbeschluß kann und muß auf Anrufung im Rechtswege nicht 
für aufgehoben, aber für unwirksam erklärt werden, zumal die Frage der Aufhebung 
des Beschlusses lediglich „die Ersatzverbindlichkeit“ betrifft 1. 
Die Frist zur Beschreitung des Rechtsweges nur gegen den Defectenbeschluß 
beträgt (§ 144, Abs. 2) ein Jahr, ist eine Ausschlußfrist und beginnt mit dem Tage 
der geschehenen Bekanntmachung des vollstreckbaren Beschlusses oder, wenn der Beamte 
an seinem Wohnort nicht zu treffen ist, mit dem Tage des abgefaßten Beschlufses. 
In dringenden Fällen, d. h. wenn eine nahe und dringende Gefahr vorhanden 
ist, daß ein Beamter, gegen welchen der Erlaß eines Defectenbeschlusses zulässig ist 
oder wäre" (§ 141), sich auf flüchtigen Fuß setzen oder sein Vermögen der Ver- 
wendung zum Ersatz des Defectes entziehen werde, kann die unmittelbar vorgesetzte 
Behörde, auch wenn sie nicht die Eigenschaft einer höheren Reichsbehörde hat, oder 
der unmittelbar vorgesetzte Beamte das abzugsfähige Gehalt (§ 19, Nr. 1) und 
nöthigenfalls das übrige bewegliche Vermögen des Beamten vorläufig in Beschlag 
nehmen (§ 146). Der vorgesetzten höheren Reichsbehörde ist ungesäumt Anzeige zu 
** und deren Genehmigung, wenn diese nicht schon vorher ertheilt war, ein- 
zuholen. 
Für das Defectenverfahren im Verwaltungswege werden Gebühren und Stempel 
nicht berechnet (§ 148). 
  
  
Vermögensansprüche der Reichsbeamten. 
Ueber die rechtlichen Vermögensansprüche, welche die Reichsbeamten haben, be- 
stehen Meinungsverschiedenheiten. Vorherrschend ist die Ansicht, welche wohl am 
treffendsten in folgender Weise dargestellt wird": „Das Diensteinkommen ist keine 
Bezahlung einzelner Dienste, sondern die Gegenleistung dafür, daß der Beamte 
regelmäßig seine ganze Persönlichkeit in den Dienst des Staates stellt, in diesem 
seinen Lebensberuf sucht und findet und auf jeden anderen Lebensberuf ver- 
zichtet. Deshalb hat auch der Staat durch Gewährung standesgemäßen Unterhalts 
ihm die Sorge für seine und seiner Angehörigen Existenz abzunehmen.“ „Die 
Besoldung umfaßt Alles, was dem Beamten als Entgelt für die Gesammtheit 
seiner Dienste in der Fürsorge für seine wirthschaftliche Existenz zu seinem Lebens- 
unterhalt gewährt wird“ (Erkenntniß des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 
1885, Entscheidungen Bd. XII, S. 56). „Die Quelle ist also die Unterhaltspflicht 
des Staates, die Besoldung hat die Natur der Alimente, sie ist eine Unter- 
haltsrente. Aus diesem Grunde wird fie im Voraus geleistet (§§& 55 und 56), 
bleiben Beschlagnahme, sowie Verfügung zum Vortheile Dritter von demjenigen 
Theile ausgeschlossen, welcher zur Bestreitung des standesgemäßen Unterhalts un- 
erläßlich (§ 850 der Civilproceßordnung). Aus demselben Grunde wird sie un- 
verkürzt fortgezahlt, wenn der Beamte durch Krankheit am Dienste verhindert oder 
sonst in erlaubter Weise abwesend ist (§ 14 des Gesetzes), kann sie ferner auch bei 
längerem, nicht durch Krankheit verursachten Urlaub ganz oder theilweise belassen 
werden und bringen selbst Suspension und Strafhaft sie nicht in Fortfall. Deshalb 
endlich wird fie angemessen fortgewährt, wenn der Beamte zeitweilig oder dauernd 
in den Ruhestand tritt (§§ 34 ff.), und selbst über den Tod hinaus an Wittwen 
und Waisen gezahlt (§ 7).“ Diese Auffassung des Gehaltes als einer „standes- 
  
1 Vgl. auch Gründe zum Erk. des Reichs- 2 Val. Erk. des Reichsger. vom 29. März 
gerichts vom 28. November 1890 bei Pieper,1892, Entsch. in Civils., Bd. XXXI, S. 318. 
. 360. 2 Bei Pieper S. 24f.
	        
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