Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

62 Zweites Buch. Gebiet und Angehörige des Deutschen Reiches. 
Reservisten, so gelten gleichfalls nicht die in § 15, Ziffer 1 des Gesetzes vom 
1. Juni 1870, sondern die für active Militärpersonen oder Reservisten gegebenen 
Bestimmungen (vgl. auch Seydel, Bayerisches Staatsrecht, I, S. 543, Anm. 2). 
Der zweite Fall, in dem die Entlassung versagt werden muß, betrifft Militär- 
personen, welche zum stehenden Heere oder zur Flotte gehören, Officiere und im 
Officierrang stehende Aerzte (Reichs-Militärgesetz vom 2. Mai 1874, 8 60, Ziff. 1) 
des Beurlaubtenstandes und alle im öffentlichen Dienst dauernd angestellte Beamte 
(vgl. Arndt, Comm., S. 320, Seydel in Hirth's Annalen 1876, S. 147, 
Anm. 3, Riedel, Reichsverfassung, S. 264, Anm. 7 zu § 15), bevor fie aus dem 
Dienste entlassen sind, oder die Genehmigung der Militärbehörde zur Aufgabe der 
Reichs= und Staatsangehrriglett beigebracht haben (Keichs-Militärgeset vom 2. Mai 
1874, § 60, f. auch G . Meyer, Staatsrecht, § 77, S. 202, Anm. 14). Wehr- 
pflichtige, welche dem Eintritt in den Dienst oder der Flotte sich dadurch zu ent- 
ziehen suchen, daß sie ohne Erlaubniß entweder das Landgebiet verlassen oder nach 
erreichtem militärpflichtigen Alter sich außerhalb des Bundesgebietes auhhalten, 
fallen unter die Strafvorschrift des § 140 des Strafgesetzbuches; vgl. auch Reichs- 
Militärgesetz vom 2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 45), § 60. Der dritte Fall 
betrifft die zur Reserve des stehenden Heeres oder zur Landwehr, sowie die zur 
Reserve der Flotte und der Seewehr gehörigen und nicht als Officiere angestellten 
Personen, nachdem sie zum activen Dienste einberufen worden sind. Die Straf- 
bestimmungen für diese Personen, wenn sie unbefugt auswandern, s. im Straf- 
gesetzbuch § 360, Nr. 3, und Militärstrafgesetzbuch §§ 69 ff. Näheres in Arndt, 
Comm., S. 320, und bei Cahn, S. 137ff. Nach dem Reichs-Militärgesetz vom 
2. Mai 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 45), § 63, und nach dem Gesetze vom 6. Mai 
1880 (R.-G.-Bl. 1880, S. 103), Art. 1, § 3, Nr. 8 ist die Entlassung auch 
ausgeschlossen für nicht zur Reserve des Heeres oder der Landwehr gehörige Per- 
sonen des Beurlaubtenstandes und übungspflichtige Ersatzrefervisten, wenn sie die 
Genehmigung der Militärbehörde zur Auswanderung nicht erlangt haben. 
In anderen als den angegebenen Gründen, deren Vorhandensein sich nach 
dem Zeitpunkte richtet, in welchem das Gesuch eingegangen ist!, darf in Friedens-= 
zeiten die Entlassung nicht verweigert werden. Die Verweigerung wegen rückstän- 
diger Steuern ist also unstatthaft (Erk. des Oberverwaltungsgerichts vom 14. No- 
vember 1887 in den Entsch. Bd. XV, S. 405; f. auch Seydel, Bayerisches 
Staatsrecht, 1, S. 545). In Preußen ist gegen den die Entlassung versagenden 
Bescheid der höheren Verwaltungsbehörde in Friedenszeiten binnen zwei Wochen 
die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zulässig (Zuständigkeitsgesetz v. 1. August 
1883, G.-S. 1883, S. 237, 8 155, Abs. 2). In Bayern, Sachsen und Württem- 
berg, Baden und Hessen gilt in solchem Falle das Nämliche (Cahn, S. 1419. 
Der hierdurch sanctionirte Grundsatz der Auswanderungsfreiheit soll indeß nur in 
Friedenszeiten gelten. Für die Zeit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr bleibt 
dem Kaiser (Präsidium) der Erlaß besonderer Anordnung vorbehalten. Ebenso 
wird, wie die Motive zu § 17 des Gesetzes vom 1. Juni 1870 noch besonders 
hervorheben, die Anwendung proceßrechtlicher Sicherungsmaßregeln durch die Aus- 
wanderungsfreiheit nicht ausgeschlossen. 
Die Wirkung der Entlassungsurkunde besteht in dem Verluste der Staats- 
angehörigkeit; sie beginnt nach dem Wortlaute des § 18 des Gesetzes vom 1. Junie 
1870, welcher wörtlich mit § 20 des preußischen Indigenatsgesetzes vom 31. De- 
cember 1842 übereinstimmt, „mit dem Zeitpunkte der Aushändigung“". Daß 
diese Aushändigung gerade an den Nachsuchenden erfolgt sein muß, ist hiernach 
nicht vorgeschrieben (ebenso das preußische Obertribunal am 28. Juni 1859 bei 
L. Hartmann, Besondere preußische Strafgesetze, S. 254; anderer Ansicht 
Cahn, S. 142). Es kommen vielmehr die allgemein für Zustellungen geltenden 
  
1 Vgl. preußisches Ministerialrescript vom der den Zeitpunkt der Entlassung als maß- 
31. Mai 1883 im Ministerialbl. für die en gebend rrachtet = und Seydel, Bayerisches 
innere Verwaltung 1883, S. 140; va äinen Staatsrecht, I1. S. 579 ff. 
auch G. Meyer, Staatsrecht, 8 7,
	        
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