§ 60. Der Reichskanzler. 679
anz gleich, und nur, weil er der Präsident des Bundesraths ist, hat er, wie der
Frapeernt jedes Collegiums, eine hervorragende Stellung, und ein weiteres Recht
wird ihm die königlich preußische Regierung gar nicht zustehen können ... Der
Bundeskanzler zeichnet gegen; aber was attestirt er? Er attestirt weiter nichts,
als daß Das, was er unterschrieben hat, mit den Beschlüssen des Bundesraths über-
einstimmt; und wollen Sie Ihre Verantwortlichkeit haben, so müssen Sie den Chef
der königlich preußischen Regierung zur Verantwortlichkeit ziehen ... Der Bundes-
rath steht thatsächlich unter der Leitung der königlich preußischen Ministerien, nicht
unter dem Bundeskanzler.“ Hierauf antwortete Laskerl!, daß er nach der letzten
Erklärung des Abgeordneten v. Thielau nicht wisse, „was unser Verfassungsentwurf
bedeutet ... Ich wünsche zu wissen, ob wir nach der Annahme des Verfassungs-
entwurfs noch einen königlich preußischen verantwortlichen Kriegsminister haben,
der für alle Anordnungen, welche verbindlich für die preußischen Unterthanen
ergehen, die Verantwortlichkeit übernimmt und dafür einzustehen hat, oder ob es
möglich ist, daß von Seiten des Bundes Anordnungen ergehen, welche wirksame
Kraft haben, von dem königlich preußischen Kriegsminister nicht vertreten werden
und dennoch für die Unterthanen verbindlich find . In gleicher Weise ist die
Frage auf dem Gebiete der Finanzen aufzuwerfen, ob wir einen königlich
preußischen Finanzminister haben werden, der die Verantwortlichkeit für jede
Belastung übernimmt, die von nun an einen Preußen trifft. Ich habe bisher das
Gegentheil aus dem Verfassungsentwurf herausgelesen. Aus den Bestimmungen,
daß der König nunmehr als Bundesfeldherr den Verwaltungstheil des Kriegswesens
übernimmt, daß die Gesetze auf den Bund übergehen, sowohl in Beziehung auf das
Militär= und Marinewesen wie auch in Beziehung auf alle übrigen aufgezählten
Gegenstände, daß ferner die Bundesgesetze in allen Punkten den einzelnen Landesgesetzen
vorangehen, habe ich den Schluß gezogen, daß die Entscheidungen darüber, wie ein
preußischer Bürger belastet werden soll, nunmehr beim Bunde ruhen, nicht in dem
preußischen Staate, und deswegen von den einzelnen preußischen Ministern auch
nicht vertreten werden können . . .. Ich will nichts weiter als die Möglichkeit
geben, daß die Krone Preußen sich bei Gelegenheit Organe schaffe, um eine geordnete
Verwaltung führen zu können“. Graf Bismarck replicirte??, daß er in dem von
Lasker reproducirten Theile der Rede des Abgeordneten v. Thielau zustimme.
„Ich glaube auch, mich gestern in meiner letzten oder vorletzten Aeußerung eben-
dahin ausgesprochen zu haben, indem ich sagte, ich müßte als preußischer Minister
der auswärtigen Angelegenheiten darauf bestehen, daß ich entweder selbst der Bundes-
kanzler bin oder daß die Instruction des Bundeskanzlers ausschließlich von mir
abhängt . Sollte ich noch mit anderen zur Contrasignatur berechtigten Beamten
eines anderen Ministeriums die Verantwortlichkeit theilen, so würde mir das zu
viel.“ Der Abgeordnete Miquel hob hervor 2, daß er nach der Erklärung des
Herrn Ministerpräfidenten außer Stande sei, den Entwurf in seiner Bedeutung,
namentlich in seiner Rückwirkung auf die einzelnen Verfassungen, zu verstehen.
Miagquel erklärte, daß er den Satz des Ministerpräsidenten, auch nach Einführung
der Bundesverfassung blieben für diejenigen Gegenstände, welche der Bundes-
competenz überwiesen werden, doch noch die preußischen Minister verantwortlich,
geradezu für eine Auflösung halte. „Die Bundesverfassung schafft einen neuen
Staat, einen Staat, dem bestimmte einzelne Competenzen überwiesen werden. Die-
jenigen Beamten, die innerhalb dieses Staates handeln, handeln innerhalb eines
neuen Staates; sie handeln nicht als preußische Minister, sondern sie handeln als
Bundesminister. Wenn es in der Bundesverfassung heißt: das Postwesen ist ein
einheitliches des Bundes, so ist jeder Beamte, der angestellt wird im Postwesen und
im Postwesen handelt, Bundesbeamter und nicht preußischer Beamter; wenn es
heißt: das ganze Heerwesen ist ein einheitliches des Bundes, an dessen Spitze der
König von Preußen als Bundesfeldherr steht, so find diejenigen Beamten, die
1 Sten. Ber. S. 391; f. auch oben S. 103 2 Sten. Ber. S. 396.
2 Sten. Ber. S. 393.