8 60. Der Reichskanzler. 681
kanzler kann nur aus den Bundesrathsbevollmächtigten entnommen werden1, folglich
ist es der König von Preußen, der Namens des preußischen Staates den Kanzler
als Bundesrathsbevollmächtigten bestellt, und es ist der Kaiser, der Namens des
Reichs den bezüglichen Bundesrathsbevollmächtigten zum Reichskanzler ernennt.
Für das Erstere bedarf es nach preußischem Staatsrecht der Gegenzeichnung eines
preußischen Ministers 2. Es steht verfassungsmäßig nichts im Wege, daß der dem-
nächstige Reichskanzler in seiner Eigenschaft als preußischer Staatsminister seine
Ernennung zum Bundesrathsbevollmächtigten gegenzeichnet. Für die Ernennung
zum Bundesrathsbevollmächtigten, für jede, auch für die zu demjenigen Bundesraths-
bevollmächtigten, der demnächst oder gleichzeitig vom Kaiser zum Reichskanzler be-
stellt wird, ist das preußische Ministerium dem preußischen Landtag verantwortlich.
Folglich kann im preußischen Landtage zwar nicht monirt werden, weshalb z. B.
der Fürst zu Hohenlohe zum Reichskanzler bestellt, wohl aber kann monirt
werden, warum er zum Bundesrathsbevollmächtigten ernannt ist und
warum seine Ernennung zum Bundesrathsbevollmächtigten nicht widerrufen wirds.
Auch in Demjenigen, was der Reichskanzler im Bundesrathe nicht als Geschäfts-
leiter, sondern als Vertreter Preußens, namentlich als Stimmführer Preußens,
thut, ist er dem preußischen Landtage verantwortlich. Nicht als Kanzler stimmt er
ab, der hat keine Stimme, sondern als Vertreter Preußens; nicht sein Name wird
aufgerufen, sondern der Name Preußen. Was vom Reichskanzler insoweit gilt, gilt
auch vom preußischen Handels-, Finanz= und Kriegsminister. Der preußische
Handelsminister, der in Zoll-, Handels= und gewerblichen Sachen für Preußen im
Bundesrath stimmt und votirt, haftet dafür dem preußischen Landtag. Der
preußische Landtag kann daher insoweit die Zoll., Handels-(Wirthschafts-Politik
des Reiches in den Kreis seiner Erörterungen ziehen. Nicht minder kann der
preußische Landtag Auskunft darüber verlangen und Rechenschaft dafür fordern,
wie der preußische Finanzminister und der preußische Kriegsminister Namens
Preußens im Bundesrathe thätig find. Insbesondere kann der preußische Landtag
Auskunft darüber verlangen, ob und in welchem Sinne das preußische Veto in
Militär= und Zollsachen im Bundesrathe gehandhabt ist“. In alledem muß den
seiner Zeit gemachten, oben skizzirten Aeußerungen des Fürsten Bismarck un-
bedingt beigetreten werden. Anders stellt sich die Frage, ob für Verkündung von
Bundesrathsbeschlüssen, für Reichsgesetze, Reichsverordnungen, für Dasjenige, was
Reichsbehörden (unmittelbare oder mittelbare 5) thun, den Einzellandtagen Rechen-
schaft zu geben ist. Hier gilt, was namentlich Miquel seiner Zeit ausgeführt
hat, nämlich, daß Namens eines neuen Staates gehandelt wird. Nach Art. 17 der
Reichsverfassung ist der Reichskanzler für „Anordnungen und Verfügungen des
Kaisers“, die im Namen des Reiches ergehen, dem Bundesrath und dem Reichstage
verantwortlich. Er ist also dafür verantwortlich, daß, was vom Kaiser Namens
des Reiches verordnet wird, auch wirklich so lautet, wie es verkündet ist, und daß das
Reichsgesetz gehörig zu Stande gekommen ist. Seine Gegenzeichnung, durch welche
die Verantwortlichkeit übernommen wird, bedeutet, daß er die vom Kaiser erlassenen
Reichsverordnungen als zu Recht erlassen bescheinigt und bezeugt und dieses Zeugniß
vertreten will, daß er die Verantwortlichkeit für diese oder jene Ernennung oder Zur-
dispofitionsstellung eines Reichsbeamten übernimmt, daß er für Kriegserklärungen
und Friedensschlüsse, für Ein= und Ausfuhrverbote, Verhängung des Belagerungs-
1 S. oben S. 97.
2 Preuß. Verfassungsurkunde, Art. 44.
2 Zwar kann der preußische Landtag Wünsche
solcher Art aussprechen und diese Fragen zur
Erörterung ziehen; der König von Preußen ist
aber an so Wünsche des preußischen Landtages
nicht gebunden: er kann, wen er will, zum
Bundesrathsbevollmächtigten bestellen, und er
braucht Wünsche in Bezug auf den etwaigen
slderruf einer solchen Vollmacht nicht zu be-
60 en.
4 S. oben S. 96.
5# S. weiter unten § 61.
* S. auch oben S. 185 und 192. Ist ein
Reichsgesetz von Reichswegen unter Gegenzeich-
nung des Reichskanzlers im Reichsgesetzblatt
verkündet, so hat es dadurch nach Satz 2 in
Art. 2 der Reichsverfassung „verbindliche Kraft“
erhalten. Den Behörden mit Einschluß der Ge-
richte steht deshalb ein Nachprüfungsrecht der
Gesetzmäßigkeit nicht zu.