Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 60. Der Reichskanzler. 685 
ihm dem Kaiser zu berichten und eine Cabinetsordre zu extrahiren I. In welchen 
Fällen der Kriegsminister auch als oberste Reichsbehörde allein oder nur auf Grund 
königlicher Ermächtigung Vorschriften irgend welcher Art, z. B. über Verpflegung, 
Ausrüstung, Bewaffnung, erlassen kann, hängt gleichfalls von dem Inhalte der 
Verordnung vom 27. Oktober 1810 neben den anderen Vorschriften, z. B. den 
Cabinetsordres vom 1. Juni 1867 und 16. September 18712, ab. Nach diesen 
Verordnungen entscheidet sich, ob zu Anstellungen und Entlassungen von Militär-, 
Gesandtschafts= und anderen Beamten die königliche oder kaiserliche Genehmigung 
nöthig ist. Es entspricht der Sachlage, insbesondere der oft vorhandenen 
Personenidentität zwischen Reichs= und Landesbeamten, zwischen dem Reichskanzler 
und dem preußischen Ministerpräfidenten, sodann dem Umstande, daß der Reichskanzler 
ein preußischer Bundesrathsbevollmächtigter, ein zum Bundesrath bevollmächtigter 
preußischer Minister ist, daß die Verordnung vom 27. Oktober 1810 auch auf den 
Reichskanzler entsprechende Anwendung findet, insbesondere darüber, wann er die 
kaiserliche Genehmigung einzuholen hat. Befugnisse, welche die Verfassung oder die 
Gesetze dem Kaiser beilegen, z. B. den Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu ver- 
tagen und zu schließen, kann er zweifellos nur mit besonderer kaiserlicher Ermäch- 
tigung vornehmen und auch dies nur, wenn nach der Absicht des Gesetzes oder der 
Verfassung der Kaiser nicht in Person diese Befugnisse auszuüben braucht. Daher 
kann er im Gebiete des Post= und Telegraphenwesens das kaiserliche Verordnungs- 
recht ausüben, aber nicht Namens des Kaisers Krieg erklären und Frieden 
schließen, noch den Reichstag auflösen, noch Gesetze verkünden (vgl. oben S. 192 f.). 
Wie die preußischen Minister dem Könige so ist der Reichskanzler nicht bloß den 
gesetzgebenden Körperschaften, sondern vor Allem dem Kaiser verantwortlich und 
zwar für alle seine Amtshandlungen und Unterlassungen. Er steht unbedingt 
ad nutum des Kaisers; er kann von diesem jeder Zeit und ohne Angabe von Gründen 
entlassen werden, was in den §§ 25 und 35 des Reichsbeamtengesetzes anerkannt 
ist. Seine Stellung als verantwortlicher Reichsminister zeigt sich darin, daß er 
für eine kaiserliche Anordnung die Gegenzeichnung ablehnen darf und ablehnen muß, 
wenn er nicht glaubt, daß er die Verantwortung tragen kann, z. B. weil er sie für 
verfassungs= oder gesetzwidrig oder auch nur für unpolitisch oder unzweckmäßig hält. 
Soweit preußische Minister zu Beamtenanstellungen, Charakterverleihungen, Rang- 
erhöhungen, Ausgaben, Niederschlagung von Kosten, Verzicht aus Conventional= 
strafen und dergl. die königliche Genehmigung gebrauchen, bedarf der Reichskanzler 
der kaiserlichen Genehmigung. Nach dem preußischen Staatsrecht kann sich jeder 
Minister in der Regel durch seine unterstellten Beamten, Unterstaatssekretäre, 
Directoren, Räthe vertreten lassen, selbst in den Plenarsitzungen des Staats- 
ministeriums , vor dem Landtage", ja, wenn der König nicht persönlichen Vortrag 
befiehlt, selbst bei Vorträgen vor dem Monarchen. Ausführungsverordnungen und 
Entscheidungen, z. B. Recursbescheide, welche vom Minister ausgehen, können vom 
Unterstaatssekretär, Director oder einem vortragenden Rath „im Auftrage“ erlassen 
oder verkündet werden. Absolut unstatthaft ist dagegen, daß sich der Minister bei 
der Gegenzeichnung zu Regierungsacten des Königs " vertreten läßt. Die preußische 
Verfassung will, daß der Minister in Person die Gegenzeichnung leistet und die 
Verantwortung übernimmt. Was das Reichsrecht anlangt, so erhellt aus Art. 15 
der Reichsverfassung, daß der Reichskanzler im Vorsitz im Bundesrathe und in der 
Leitung der Geschäfte des Bundesraths sich vertreten lassen kann, aber nicht durch 
wen er will, sondern nur durch ein anderes Bundesrathsmitglied, vermöge schrift- 
licher Substitution. Bezüglich der Gegenzeichnung muß, zumal nach dem Vorbilde 
und im Hinblick auf das preußische Recht, angenommen werden, daß eine Stell- 
  
1 D. h. soweit die Verfügung dem Kaiser zu= der Genehmigung des Bundesraths. 
steht, also z. B. in der Post-, Militär-, aus- 7 Bei Schwartz, Preuß. Verf., S. 185. 
wärtigen Verwaltung, ferner überall bei An- * Verordnung vom 3. November 1817 (G.-S. 
stellungen, Rangfragen. Soweit die Verfügung 1817, S. 289), VIII. 
dem Bundesrath zusteht, also wenn es sich z. B. " Art. 60 der preußischen Versessung 
handelt um Kosten und Conventionalstrafen u. dal., 6 Art. 44 der preußischen Verfassung. 
ei den Reichseisenbahnen bedarf der Reichskanzler
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.