Zehntes Buch.
Auswärtige Verwaltung.
8 62. Allgemeines, Staatsverträge.
Auswärtige Angelegenheiten eines Staates find diejenigen, welche außerhalb
seines Gebietes liegen. Das Staatsrecht hat es dabei nur mit solchen Angelegen-
heiten zu thun, welche öffentlich-rechtlicher Art find. Wenn also die Reichsmilitär=
verwaltung gelegentlich Kohlen oder Maschinen in England oder zur Versorgung
der Kriegsschiffe auf dem Meere Lebensmittel in Madeira, am Kap der guten
Hoffnung oder in Hongkong kauft, so stehen diese Kaufgeschäfte ausschließlich unter
den Regeln des Privatrechts. Dagegen betreffen die Pacht der Wilhelm-Luxem-
burg-Eisenbahn, die Erbauung der Gotthard-Eisenbahn, die Ausgrabungen in
Olympia öffentliche Interessen, weshalb die darüber abgeschlossenen Verträge als
Staatsverträge anzusehen sind. Auswärtige Angelegenheiten für jeden deutschen
Bundesstaat sind auch die, welche in anderen Bundesstaaten vorkommen, z. B. be-
züglich des Militärwesens, Armenwesens, Schulwesens, Gerichtswesens u. s. w. Zu
den auswärtigen Angelegenheiten des Deutschen Reiches gehören die elsaß-
lothringischen nicht, weil Elsaß--Lothringen ein unmittelbarer und integrirender
Theil des Reichsgebietes ist (Art. 1 der Reichsverfassung). Dagegen müssen zu den
auswärtigen Angelegenheiten die deutschen Schutzgebiete gerechnet werden, da diese
nur in vereinzelten Hinsichten, z. B. in Hinsicht der Fortdauer der Reichs-
angehörigkeit, als Inland, gelten 1, aber keinen Theil des Reichsgebiets im Sinne des
Art. 1 der Reichsverfassung ausmachen.
Schon der Deutsche Bund war eine in politischer Hinsicht verbundene Gesammt-
macht des europäischen Staatensystems und vertrat als Ganzes die deutsche Nation
nach außen. Er hatte und übte alle Rechte aus, welche das Völkerrecht den freien
und unabhängigen Staaten im Verhältniß zu anderen Staaten zugesteht 2. Dies
gilt um so mehr vom Deutschen Reiche, als ihm weit mehr und weit umfangreichere
Befugnisse zur eigenen Ausübung delegirt find.
Das Deutsche Reich wird nach Art. 11 der Reichverfassung völkerrechtlich durch
den Kaiser vertreten. Dieser hat im Namen des Reiches Krieg zu erklären und
Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten ein-
zugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Unter seinem Oberbefehle im
Kriege und im Frieden stehen Kriegsmarine und stehendes Heer. Der Kaiser
endlich hat, und zwar allein, das Recht, Konsuln des Deutschen Reiches anzustellen 8.
Das Recht des Kaisers zur völkerrechtlichen Vertretung des Deutschen Reiches
erleidet aber Einschränkungen. Nach Art. 11, Abs. 2 der Reichsverfassung ist zur
1 Oben S. 64 und weiter unten. *# Art. 56 der Reichsverfassung und weiter
* Wiener Schlußacte Art. 35, oben S. 9. nunten.