Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

r62. Algemeines, Staatsverträge. 705 
des Deutschen Reiches nicht erfolgt ist. Die verbündeten Regierungen haben hier- 
von Kenntniß und doch nicht ausgesprochen, daß eine solche Kriegserklärung für 
das Reich nur wirksam sei, wenn zuvor der Bundesrath zustimme. 
Das Recht des Kaisers, Namens des Reiches Frieden zu schließen, ist an keine 
Einschränkung geknüpft. Daher ist zu folgern, daß der Kaiser die Zustimmung 
weder des Bundesrathes noch des Reichstages noch endlich eines Bundesstaates 
nöthig hat, wenn er in einem Friedensschlusse Theile des Reichsgebiets und selbst 
Theile eines deutschen Bundesstaates abtritt 1. Hierbei ist zu erwägen, daß der 
Kaiser, da er allein über die Kriegs= und Machtmittel verfügt, es auch allein in 
der Hand hat, Gebietsverluste an das Ausland zu verhindern oder herbeizuführen 2. 
Zur Erwerbung neuer Colonien bezw. Schutzgebiete in einem Friedensschlusse ist 
daher der Kaiser allein, ohne Bundesrath und Reichstag zuständig; sollen dagegen 
die im Friedensschlusse an das Reich abgetretenen Gebiete in das Reichsgebiet im 
Sinne des Art. 2 der Reichsverfassung aufgenommen und also zu einem integrirenden 
Bestandtheile des Deutschen Reiches gemacht werden, so ist hierzu ein verfassungs- 
änderndes Gesetz nothwendig. 
Nun führt Absatz 3 in Art. 11 der Reichsverfassung eine Beschränkung rück- 
sichtlich der Verträge mit fremden Staaten ein: „Insoweit die“ (vom Kaiser im 
Namen des Reiches abgeschlossenen) „Verträge mit fremden Staaten sich auf solche 
Gegenstände beziehen, welche nach Artikel 4 in den Bereich der Reichsgesetzgebung 
gehören, ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer 
Gültigkeit die Genehmigung des Reichstages erforderlich.“ Hier besteht die viel 
erörterte Streitfrage, ob diese Einschränkung nur staatsrechtliche und interne oder 
auch völkerrechtliche und externe Bedeutung enthält. Wird die Streitfrage im 
ersteren Sinne beantwortet, so beeinträchtigt die Verletzung der in Art. 11, Abf. 3 
gegebenen Vorschrift jedenfalls nicht die völkerrechtliche Gültigkeit und unter Um- 
ständen selbst nicht die Gültigkeit in Bezug auf die Behörden und Unterthanen des 
Deutschen Reiches. Es wäre ein solcher Vertrag für das Deutsche Reich, vielleicht 
sogar auch für dessen Behörden und Unterthanen verbindlich. Wird sie im letzteren 
Sinne beantwortet, so wird die sonst mögliche und viel behauptete Spaltung“ 
zwischen der staatsrechtlichen und der völkerrechtlichen Gültigkeit vermieden, und es 
wäre ein unter Verletzung der angezogenen Vorschrift abgeschlossener Vertrag ebenso 
völkerrechtlich wie staatsrechtlich als ungültig anzusehen. In diesem letzteren 
Sinne wird die Frage beantwortet von E. Meier, Ueber den Abschluß von 
Staatsverträgen, Leipzig 1874, Gorius, in Hirth's Annalen 1874, S. 759 ff., 
1875, S. 531 ff., Josef Unger, in Grünhut's Zeitschrift, Bd. VI, S. 349, 
Zorn, in der Zeitschrift für die gesammten Staatswissenschaften, Bd. XXXVI, 
S. 16, Zorn, Reichsstaatsrecht, 2. Aufl., § 18, Schulze, Reichsstaatsrecht, II, 
§ 361, M. Proebst, Die Lehre vom Abschlusse völkerrechtlicher Verträge durch 
das Deutsche Reich und die Einzelstaaten, in Hirth's Annalen 1882, S. 241, 
M. Seydel, Commentar, 2. Aufl., S. 168, F. Stoerk, Staatsverträge, in 
v. Stengel's Wörterbuch, II (1890), S. 516, u. A. m. Im entgegengesetzten 
Sinne, nämlich dahin, daß der Vertrag trotz der Nichtbeobachtung der in Art. 11, 
Abs. 3 gegebenen Vorschrift nach außen hin gültig sei, wird die Frage beantwortet 
u. A. von Gneist, Kommissionsbericht in den Drucksachen des preuß. Abgeordneten- 
  
1 S. oben S. 72, Laband, Reichsstaats- 
recht, 1, S. 182 ff., G. Re#e#s Staatsrecht, 
#ls, Hänel, Staatsrecht, S. 346, v. Mohl, 
eichsstaatsrecht, S. 13, E. Meier, Staats- 
Bezotd, Materialien, III, S. 1131). 
S. oben S. 72. ç 
4 Diese ist in Wahrheit wenigstens im Reiche 
und in Preußen nicht vorhanden; der Kaiser 
und der König können zwar ihre verfassungs- 
verträge, S. 303; anderer Ansicht Seydel, 
Bayerisches Staatsrecht, I. S. 639, Commentar, 
S. 36 und 161, und M. Proebst, Annalen 
des Deutschen Reichs 1882, S. 314. 
* Ein Antrag Sonnemann, am Schlusse 
des Art. 11 hinzuzufügen: „Friedensverträge 
unterliegen stets der Zustimmung des Bundes- 
raths und des Reichstages“, wurde fast ein- 
stimmig abgelehnt (Sten. Ber. 1871, S. 156, 
Arndt, Da# Staatsrecht des Deutschen Reiches. 
  
mäßigen Pflichten verletzen und daher Indemnität 
nachsuchen müssen (Beispiel: der deutsch-spanische 
Handelsvertrag vom 12. Juli 1883 ([R.-G.-Bl. 
1883, S. 307) und Indemnitätsgeset dazu vom 
10. September 1883 (R.-G.-Bl. 1883, S. 303), 
verbindlich ist der Vertrag aber durch die 
Lerkündung auch innerhalb des Reiches und 
Staates. 
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