Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

706 Zehntes Buch. Answärtige Berwaltung. 
hauses, X. Legislaturperiode, II. Session 1886, Nr. 236, Laband, Reichsstaats- 
recht, 3. Aufl., § 61, v. Gerber, Staatsrecht, 3. Aufl., § 54, Anm. 2, G. Meyer, 
in Hirth's Annalen 1878, S. 379 ff., G. Meyer, Staatsrecht, § 190, Klöppel, 
in den Preußischen Jahrbüchern, Bd. LII, S. 294 ff. Eine dritte Ansicht wird 
namentlich von Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 341 ff., vertreten, nämlich 
die, daß die Erfüllung der in Absf. 3 des Art. 11 aufgestellten Erfordernisse die 
Bedingung sei, von deren Eintritte die Wirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages 
abhänge. Noch Andere wollen einen Unterschied machen, je nachdem es sich um die 
Zustimmung des Bundesrathes oder des Reichstages handelt. 
Für die Anfsicht, daß die staatsrechtliche Ungültigkeit auch die völkerrechtliche 
Ungültigkeit zur Folge habe, wird namentlich geltend gemacht, daß sich die Gültig- 
keit eines Vertrages nicht spalten lasse, daß mit einem staatsrechtlich ungültigen 
Vertrage dem Auslande gar nicht gedient sei, daß die Schwierigkeit einer Legi- 
timationsprüfung (nämlich der, ob der Kaiser im gegebenen Falle einer Zustimmung 
bedürfe und ob eventuell diese erfolgt sei) doch nicht zu vermeiden sei, daß, wenn 
eine Verfassungsvorschrift eine Zustimmung als erforderlich zu irgend einem Acte 
erklärt, dies mangels entgegengesetzter ausdrücklicher Bestimmung den Sinn habe, 
diese Zustimmung solle ein Erforderniß der Rechtsgültigkeit des Actes nach jeder 
Richtung sein, und daß hier vollends, wo es sich um Rechte der Verbündeten 
selbst hundle, die sie zur Ausübung in ihrem Namen dem Kaiser übertragen haben, 
es geradezu undenkbar sei, daß die Verbündeten sollten gewillt gewesen sein, die 
internationalen Folgen eines verfassungswidrigen kaiserlichen Actes blindlings auf 
sich zu nehmen m. Seydel bemerkt noch besonders, daß ein Verstoß des Kaisers 
gegen Art. 11, Abs. 2 und 3 der Reichsverfassung nicht blos eine Verfaffungs- 
verletzung, sondern auch eine Vertragsverletzung gegen seine Bundesgenossen wäre, 
für welche er dahin verantwortlich sei. Man dürfe es für einen casus non dabilis 
ansehen, daß der Kaiser ohne die erforderliche Zustimmung seiner Verbündeten einen 
Krieg erklärt oder Verträge abschließt. 
Von Seiten der Anhänger der entgegengesetzten Theorie wird dagegen geltend 
gemacht?, daß der Bundesrath und ebenso der Reichstag nach außen überhaupt 
nicht Namens des Reiches handeln, daß der auswärtige Staat nicht zuverlässige 
Kenntniß haben könne, ob der Bundesrath, dessen Verhandlungen nicht öffentlich 
seien, die Zustimmung zum Abschluß des Vertrages ertheilt habe, daß man einer 
fremden Regierung die schwierige Untersuchung, ob der Vertrag Gegenstände betreffe, 
welche in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören, nicht zumuthen könne, und 
daß man zu einem unhaltbaren Resultate gelangen würde, wenn man den Kaiser 
zwar befugt erachtet, die gesammte auswärtige Politik zu leiten, Schutz= und Trutz= 
bündnisse zu schließen, das Reich in einen Krieg zu stürzen, die bewaffnete Macht 
des Reiches aufzubieten, die höchsten Lebensinteressen des Reiches auf das Spiel 
zu setzen, ihn aber nicht für legitimirt erachtet, einen Staatsvertrag abzuschließen, 
der die Niederlassungsverhältnisse oder den Schutz literarischer Erzeugnisse oder die 
Form und Beweiskraft von Urkunden eines Konsuls u. s. w. betrifft. 
An sich denkbar und möglich sind beide Auffassungen: Für Frankreich läßt 
sich J. B. mit Recht behaupten, daß zunächst Staatsverträge überhaupt nur dann 
irgend welche Wirkung haben, wenn sie zuvor durch die gesetzgebenden Körperschaften 
genehmigt sind. So bestimmte schon Art. 9 des Decrets vom 22. Mai 1790 
das Recht des Königs: „d’'arreter et de signer avec les puissances étrangeres 
tous les traités de paix, d’alliance et de commerce; mais ces traités ne peuvent 
recevoir leur effet avant d'’avoir été ratifiécs par le Corps I16gislatif." Die ent- 
sprechende Vorschrift findet sich auch in der Verfassung vom 5. Fructidor des 
Jahres III: „Les traités ne sont valables qu’après avoir été6 examinés et ratiflés 
Ppar le Corps Iégislatif; néanmoins, les conditions secretes peuvent recevoir 
provisoirement leur exécution deèes Pinstant meme on elles sont arrstées par le 
  
1 Val. Seydel, Comm., S. 164. 2 Stoerk, L. 
2 Vgl. namentlich Laband, I, S. 614, § 61.
	        
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