Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

62. Allgemeines, Staatsvertrüge. 707 
Directoire." Noch unzweifelhafter ist dies im heutigen französischen Recht: „Le 
président! de la République négocie et ratifie les traités; 1 en donne connais- 
sance aux Chambres, aussitöt que Pintérst et la soreté de IEtat le permettent. 
Les traitées de paix, de commerce, les traités qui engagent les finances de I’Etat; 
ceux qui sont rélatifs à Tétat des personnes et au droit de propriété des Français 
à étranger ne sont définitifs qu'’après avoir été votés pas les deux Chambres. 
Nulle cession, nul échange, nulle adjonction de territoire ne peuvent avoir lieu 
qu'en vertu d’une loi“ (art 8 de la loi du 16 juillet 1875). Hiernach sind Friedens- 
und Handelsverträge u. s. w. noch nicht (endgültig) abgeschlossen, bevor sie nicht die 
Zustimmung der Kammern erhalten haben. Gebietsveränderungen können nicht auf 
Grund eines Vertrages, sondern nur durch Gesetz, also nur durch die Kammern 
stattfinden. Demgemäß ist im Friedensvertrage zwischen dem Deutschen Reiche und der 
franzöfischen Republik vom 10. Mai 1871 ausdrücklich bestimmt, daß die Ratificationen 
einerseits durch den deutschen Kaiser und andererseits durch die Nationalversammlung 
und durch das Oberhaupt der vollziehenden Gewalt der franzöfischen Republik aus- 
getauscht werden sollen — Im Protokoll vom 20. Mai 1871 über den Austausch 
der Ratificationen ist ausdrücklich erwähnt, daß eine in gehöriger Form erfolgte 
Ausfertigung des am 18. Mai von der Nationalversammlung angenommenen, den 
Friedensvertrag ratificirenden Gesetzes vorgelegen habe. In der Nordameri- 
kanischen Union ist der Präfident nur unter Zustimmung des Senats zum 
Abschluß von Staatsverträgen legitimirt; dem Repräsentantenhause steht keine Theil- 
nahme am Abschlusse, sondern nur an der Vollziehung des Vertrages zus. Im 
ehemaligen Deutschen Reiche konnte der Kaiser nur mit Zustimmung des Reichstages 
Verträge mit fremden Staaten schließen, wie dies u. A. in Art. VIII, § 2 des 
Osnabrücker Friedens 1648 bestimmt wurde. 
Die entgegengesetzte Ansicht ist in England geltend; dort ist zur Gültigkeit 
eines Vertrages nach außen die Zustimmung des Parlamentes nicht nöthig, wie 
dies Gneist, 1. c., und E. Meier, S. 115 ff., eingehend dargethan haben. 
Völkerrechtlich herrscht überhaupt die Ansicht vor“", daß mit der Rati- 
fication der Vertrag völkerrechtlich verbindlich ist, ohne Rücksicht darauf, ob die 
nach der Verfassung der vertragschließenden Theile etwa erforderliche Zustimmung 
der gesetzgebenden Factoren ertheilt worden sei oder nicht. 
Gehen wir zur Klarlegung auf analoge Fälle über, so zeigt sich, daß Be- 
schränkungen ähnlicher Art, wie sie die Absätze 2 und 3 in Art. 11 der Reichs- 
verfassung enthalten, in einzelnen Fällen als Legitimationsbeschränkungen und in 
anderen Fällen nur als interne, die Rechtsgültigkeit nach außen hin nicht beein- 
trächtigende Vorschriften aufzufassen find. Wenn eine Gemeinde in Preußen Grund- 
eigenthum veräußert, so ist ein solches Rechtsgeschäft auch nach außen hin ungültig, 
wenn nicht die zuvorige Genehmigung des Bezirks= bezw. des Kreisausschusses 
stattgefunden hat?. Wenn dagegen das Reichs-Marineamt mehr Kriegsschiffe oder 
Torpedos, der preußische Kriegsminister mehr Kanonen oder Gewehre oder der 
preußische Minister der öffentlichen Arbeiten mehr Lokomotiven und Eisenbahnen 
bestellen, als wofür im Etatsgesetz Mittel bewilligt find, so findet eine Art Spaltung 
der Gültigkeit statt: sie handeln zwar auf eigene Gefahr und unter Umständen 
verfassungswidrig, nach außen hin und Dritten gegenüber aber find die von ihnen ab- 
geschlossenen Anschaffungsverträge rechtsverbindlicht. Wenn der Magistrat einer 
Stadtgemeinde Actien für ein Eisenbahnunternehmen zeichnet, ohne sich vorher die 
an sich erforderliche Zustimmung der Stadverordnetenversammlung verschafft zu 
haben, so ist nach der Judicatur?' die Zeichnung für die Stadtgemeinde wirksam, 
weil die Legitimation des Magistrats, die Stadt zu obligiren, durch seine ihm nach 
der Städteverfassung obliegende interne Verpflichtung nicht aufgehoben wird. Wenn 
  
1 Bloct, Diction. de l’'administration 6 4 31 des Auständigkeitsgesehes vom 1. Aug. 
française, s. m. constitution art 13. 1883 (G.-S. 1883, S. 237). 
2 R.-G.-Bl. 1871, S. 223. S. oben S. 329 4 
2 E. Meier, S. 163 ff., Laband, I, xAur Sai#h des Reichs-Oberhandelsger., Bd. 
S. 607. 6„ 
v. Liszt, Völterrecht, S. 114. 
45 2
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.