i*62. Algemeines, Staatsverträge. 711
der Wortfassung unseres Amendements in Verbindung mit Artikel 4 der Ge-
nehmigung des Reichstages bedürfen, würde es in den vorausgesetzten Fällen ge-
nügen, daß sie nachträglich vorgelegt werden.“ Graf Itzenplitz bemerkte sofort
darauf: „Ich acceptire diese Erklärung dankbar und meine, da der frühere Artikel
(Art. 11) eine abgemachte Sache ist, daß es sich für die vorliegende Berathung
nicht empfehlen kann, das Amendement Erxleben hier anzunehmen.“ Sodann ent-
gegnete Erxleben: „Ich erkläre mich mit Dem, was der Herr Bundeskommissar
gesagt hat, vollständig einverstanden. Auch ich bin nicht der Meinung, daß der
vertragsmäßigen Entwickelung des Postwesens, die im Bedürfnisse liegt, irgend
welche Hemmnisse entgegengestellt werden dürfen. Ich glaube, daß es sehr wohl
möglich sein würde, dergleichen Postverträge nachträglich vorzulegen, und es scheint
mir, daß sie ebensogut dem Reichstage vorgelegt werden können, als der vom Herrn
Bundeskommissar erwähnten Budgetkommission, und zwar zur nachträglichen Ge-
nehmigung.“ Hierauf wurde der Antrag Erxleben abgelehnt ?. Bei diesen Vor-
gängen kann nicht mit Recht bezweifelt werden, daß nach Sinn und Wortlaut der
Verfassung, nach dem Willen des Antragstellers, den übereinstimmenden Erklärungen
der Reichstagsredner und des Bundeskommissars der Art. 11 so aufzufassen ist,
daß die nachträgliche Genehmigung genügt und daß die vorgängige kein Er-
forderniß für die Gültigkeit und Verbindlichkeit eines Staatsvertrages ist. Anderen-
falls hätte Art. 11 auch gelautet: „Ist zu ihrem Abschluß die Zustimmung des
achrasin und zu ihrer Ratification die Genehmigung des Reichstages er-
orderlich.“
Zweifelhafter ist, ob die Zustimmung des Bundesraths nicht blos interne,
sondern auch externe Bedeutung habe und also Vorbedingung für die Gültigkeit
des Vertrages sei. Gewiß ist, daß der Kaiser durch die Reichsverfassung verpflichtet
ist, vor dem Abschluß sich die Zustimmung des Bundesraths zu verschaffen, und
daß es ein casus non dabilis ist, der Kaiser werde in einem Falle, wo er dieser
Zustimmung bedarf, ohne diese einen Vertrag abschließen. Es handelt sich also
um eine rein theoretische Frage. Bei näherer Betrachtung wird man jedoch an-
nehmen, daß für die Gültigkeit nach außen die Zustimmung des Bundesraths nicht
Vorbedingung sein kann, daß also ein etwaiger Einwand, der Vertrag hätte nach
Art. 11, Abs. 3 der Reichsverfassung der Zustimmung des Bundesraths bedurft,
diese aber nicht erhalten, gegenüber einem vom Kaiser ratificirten und publicirten
Vertrage unerheblich ist. Diese Ansicht stützt sich darauf, daß die Thätigkeit des
Bundesrathes sich nicht in der Oeffentlichkeit abspielt, daß die Zustimmung des
Bundesraths in den Verträgen solcher Art niemals erwähnt wird, und vor Allem
darauf, daß sonst die Verfassung, zumal in Hinblick auf das fremdländische Recht
und die im Völkerrecht vorherrschende Ansicht, anders gefaßt wäre, nämlich dahin,
daß der Kaiser Verträge, deren Gegenstand in den Bereich der Reichsgesetzgebung
gehört, abgesehen über Post= und Telegraphie, nur unter Zustimmung des Bundes-
raths mit fremden Staaten eingehen kann. Die Einschränkung in Abs. 3 be-
schränkt somit nicht die Legitimation und hat eine ähnliche Bedeutung wie die
Vorschrift, daß die Regierung ohne Zustimmung der Gesetzgebung keine Ausgaben
machen darf"“.
Praktisch wichtiger ist die folgende Frage: Welche Gegenstände gehören nach
Art. 4 der Reichsverfassung in den Bereich der Reichsgesetzgebung Der Antrag-
steller Lette erkannte an, daß „manche von derartigen Verträgen (zum Theil) nur
in das Gebiet der Executive gehören und nicht einmal der Vorlegung beim Reichs-
tage bedürfen“. Executive ist der Gegensatz von der Legislative; Beides find formale
Begriffe, wie nirgends klarer als hier festzustellen ist. Post= und Telegraphen-
1 Damit ist sein Amendement zu Art. 11, 4 Da die Staatsverträge fast stets unter
nicht das Amendement des nicht nationallibe= Vorbehalt der Ratification geschlossen werden
ralen Erxleben zu Art. 50 gemeint. und die Ratification erst ertheilt wird, nachdem
2 Sten. Ber. S. 519 und 712, Bezold, der Bundesrath und Reichstag, wenn ihre zue
Materialien, II, S. 229. stimmung nöthig ist, zugestimmt Maben so haben
— ; 8 I. hierzu namentlich Proebst, lI. c. die Controversen keine große praktische Bedeutung.