Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

9 65. Elsaß-Lothringen. 755 
angehörigkeit Bürger des deutschen Gesammtstaates!. Vielmehr ist der elsaß- 
lothringische Landesangehörige Reichsangehöriger, und zwar unmittelbar, ohne 
Weiteres, und er ist nur Reichsangehöriger, nicht Inhaber einer elsaß-lothringischen 
Staatsangehörigkeit. 
Durch den Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 und das Vereinigungs- 
gesetz vom 9. Juni 1871 wurden alle in den abgetretenen Theilen von Elsaß und 
Lothringen wohnenden Franzosen ipso jure Reichsangehörige, „sujets allemands“. 
Eine Ausnahme konnte in der Option für Frankreich begründet werden. In der 
Bekanntmachung vom 7. März 1872, betreffend die Option?, wurde in Gemäß- 
heit der getroffenen internationalen Abmachungen (Friedensschlüsse) bestimmt: Alle 
dispositionsfähigen Angehörigen Elsaß-Lothringens, welche früher franzöfische Staats- 
angehörige waren und welche entweder: 1) in Elsaß-Lothringen geboren sind und 
am 2. März 1871, dem Tage, an welchem der Austausch der Ratification der am 
26. Februar 1871 zu Versailles unterzeichneten Friedenspräliminarien erfolgt ists, 
daselbst ihren Wohnsitz hatten oder 2) zwar nicht in Elsaß-Lothringen geboren sind, 
aber daselbst am 2. März 1871 ihren Wohnsitz hatten, 3) zwar nicht in Elfsaß- 
Lothringen am 2. März 1871 ihren Wohnsitz hatten, aber daselbst geboren find, 
können in der vorgeschriebenen Weise (durch thatsächliche und ernstlich gemeinte 
Verlegung ihres Wohnsitzes nach Frankreich und ausdrückliche Erklärung) bis zum 
30. September 1872" freien Abzug aus Deutschland ohne Rücksicht auf die Militär- 
pflicht verlangen und in Frankreich ohne neuen Erwerb die franzößische Nationalität 
erlangen. Die Option der Eltern war zugleich für die Nationalität der unter ihrer 
Gewalt und Vormundschaft stehenden minderjährigen Kinder bestimmend 5. Nicht 
emancipirte Minderjährige, gleichviel, ob sie in Elsaß -Lothringen geboren waren 
oder nicht, konnten weder selbst noch durch ihre gesetzlichen Vertreter gesondert von 
diesen für die französische Nationalität optiren. Sie folgten, wenn ihre Eltern noch 
am Leben waren, der Wahl der Nationalität des Vaters. Die Option des Vor- 
mundes für die französische Nationalität hatte diese Wirkung nur, wenn der 
Familienrath seine Zustimmung ertheilte". Diese Bestimmung fand auch auf eman- 
cipirte Minderjährige Anwendung, sosern sie in Elsaß-Lothringen geboren find. 
Um Scheinoptionen oder den Aufenthalt der Söhne von Franzosen bezw. der 
durch Option Franzosen Gewordenen zu verhüten, bestimmte ein Erlaß des Kaiser- 
lichen Statthalters in Elsaß-Lothringen?': 1) Wenn der Sohn eines im Reichs- 
lande wohnhaften National-Franzosen oder gültig optirt habenden Elsaß-Lothringers 
das 17. Lebensjahr vollendet hat, so sollen die Verhältnisse der betreffenden Familie 
genau geprüft werden. Gewähren dieselben die Garantie, daß keine Bedenken da- 
gegen bestehen, daß die Familie oder auch der betreffende junge Mann die deutsche 
Nationalität empfangen, so ist dem Familienvorstand die Frage zu stellen, ob er 
sich naturalisiren lassen oder ob er die Naturalisation nur auf den im wehrpflich- 
tigen Alter stehenden Sohn beschränkt wissen will. Stellt der Familienvorstand den 
Naturalisationsantrag für sich oder für seinen betreffenden Sohn, so ist die Sache 
erledigt. Stellt er diesen Antrag aber nicht, so bleibt die Familie zwar ungestört 
hier wohnen, dem im wehrpflichtigen Alter stehenden Sohn kann der dauernde 
Aufenthalt im Lande aber nicht länger gestattet werden; er ist auszuweisen und darf 
nur auf einen Besuch von 14 Tagen bis 3 Wochen im Laufe eines Jahres zu 
seinen Eltern oder Verwandten in Elsaß-Lothringen zurückkehren. Liegen gegen die 
Naturalisation der Familie oder des jungen Mannes Bedenken vor, so ist zwar die 
Familie ungestört zu lassen, der junge Mann aber auszuweisen, und darf dieser 
ebenfalls nur auf obige Zeit seine Familie besuchen. 2) Ebenso soll bei den 
  
1 Ansicht von Laband, I, S. 126. 5. November 1875, 24. Juni 1876 und 1. Te- 
2 Sammlung der in Elsaß-Lothringen gel- Puber 1876 bei W. Cahn, Erwerbung und 
tenden Gesetze, Bd. III, S. 214. erlust der Staatsangehörigkeit, S. 390 
2 S. R.-G.-Bl. 1871, S. 215. * Bekanntmachung, betreffend die Option 
4Personen, die sich außerhalb Europa's auf-Minderjähriger, vom 16. März 1872, bei W. 
hielten, bis 1. September 1873. Cahn, I. c. S. 391. 
6# Erk. des Reichs-Oberhandelsgerichts vom Bei Cahn, 1. c. S. 392. 
48“
	        
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