Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8z 66. Schutzgebiete. 759 
die Reichsangehörigkeit erwirbt, kann nur im Wege bezw. in Gemäßheit der Reichs- 
gesetzgebung geregelt werden. Ob dagegen ein Bantumann oder Suaheli der 
Jurisdictions-, Besteuerungs= und Militärgewalt dieses oder jenes Häuptlings 
unterliegt, ob sie ihre Ehe oder ihr Testament in dieser oder jener Form abschließen, 
ob Berggerechtfame oder Plantagen dieser oder jener Gesellschaft zu diesen oder 
jenen Bedingungen übertragen werden dürfen, und Aehnliches betrifft Gegenstände, 
welche durch Art. 4 der Reichsverfassung der Reichsgesetzgebung nicht unterstellt 
find. Aus dem Satze in Art. 11 der Reichsverfassung, daß der Kaiser das Recht 
hat, das Reich völkerrechtlich zu vertreten, folgt, daß er Kolonien für das Reich 
erwerben, dortige Plantagen verpachten, Eingeborene diesem oder jenem Häuptling 
unterstellen kann, nicht aber, daß er darüber bestimmen kann, ob eine dort aus- 
genommene Urkunde im Reiche Beweiskraft hat, dort gezahlte Steuern bei Steuern 
im Reiche zu berücksichtigen sind, das Reichsgericht über Berufungen gegen dortige 
Gerichte entscheiden kann u. s. w. 1. Die im Vorstehenden entwickelte Ansicht deckt 
sich auch mit der Praxis. 
Unzweifelhaft und unstreitig gründet sich das Recht des Reiches, Kolonien zu 
erwerben, auf dessen völkerrechtliche Persönlichkeit ?. Nicht zutreffend erscheint die 
Behauptung?, daß auswärtige Angelegenheit nur der Erwerbsact sei, und daß, so- 
bald der Erwerb vollzogen ist, die Kolonialangelegenheiten nicht mehr auswärtige, 
sondern innere Angelegenheiten seien, und daß daher der Bundesrath gemäß Art. 7 
der Reichsverfassung für alle Reichs-(Kolonial-)Angelegenheiten zuständig sei, für die 
nicht ausdrücklich eine andere Zuständigkeit festgestellt ist. Es ist richtig, daß der 
Kaiser die Kolonien nicht für seine Person oder für Preußen, sondern für das Reich 
erwirbt, daß Träger der Souveränetätsrechte im Reiche (Staatssekretär v. Schel- 
ling in den Sten. Ber. des Reichstages 1885/86, S. 2028) nicht der Kaiser, 
sondern die verbündeten Regierungen find, daß daher die verbündeten Regierungen 
auch an den Schutzgebieten des Reiches die aus der Souveränetät fließenden Rechte 
erworben haben und der Bundesrath als das collective Organ der sämmtlichen 
deutschen Souveräne und freien Städte berufen ist, für die Schutzgebiete nicht blos 
bei der Gesetzgebung mitzuwirken, sondern auch die sonstigen bei den verbündeten 
Regierungen ruhenden Hoheitsrechte wahrzunehmen. Daraus folgt, daß, „wenn 
nicht aus Gründen praktischer Zweckmäßigkeit und insbesondere im Hinblick auf die 
wechselnden Bedürfnisse der Verwaltung“ in den noch unentwickelten überseeischen 
Gebieten die „Schutzgewalt“, insbesondere das Recht des Gebots und Verbots mit 
Rückwirkung auf das Reich und das Reichsgebiet an sich (d. h. ohne Specialgesetz), 
dem Kaiser übertragen worden wäre, sie den verbündeten Regierungen zustehen 
würde; daraus folgt aber nicht, daß der Bundesrath Namens des Reiches die 
Rechtsverhältnisse der Bantuleute unter einander oder die Plantagenverhältnisse 
regeln darf. Richtig ist nur, daß, wenn und soweit zur Ausführung der Vorschrift 
in Art. 4, Ziff. 1 oder zur Ausführung z. B. des Gesetzes, betreffend die Rechts- 
verhältnisse der deutschen Schutzgebiete (R.-G.-Bl. 1888, S. 75), oder über die 
Auslegung von Vorschriften dieses Gesetzes oder über Erwerb und Verlust des 
Indigenats in den Kolonien, über An= und Berechnung der dort zugebrachten 
Dienstzeit Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten entstehen, der Bundesrath 
gemäß Art. 7 der Reichsverfassung zuständig ist. Vertreter des Reichs schon auf 
Grund der Verfassung ist auch in den Schutzgebieten der Kaiser, allerdings kraft 
Uebertragung von Seiten der Bundesregierungen. Aber diese Uebertragung ist 
unwiderruflich, und der Kaiser erklärt nicht seiner Verbündeten, sondern seinen 
eigenen Willen als den des Reiches. 
Nach Entwickelung der verfassungsrechtlichen Grundsätze sollen nunmehr an der 
Hand der Darstellung von Stengel im Wörterbuch des deutschen Verwaltungs- 
rechts, Bd. II, S. 434, die einzelnen Schutzgebiete aufgezählt werden: 
  
1 Vgl. hierzu auch Bornhak, lc. S. 113, 2 v. Stengel, Ann. des Deutschen Reichs, 
der aus Art. 11 ableitet, daß der Kaiser über-1895, S. 900, Seydel, Comm., S. 69; siehe 
haupt die Staatsgewalt ausübt, und dagegen auch oben S. 172. 
Laband, 1, S. 759. * Seydel, Comm., S. 69.
	        
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