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die Reichsangehörigkeit erwirbt, kann nur im Wege bezw. in Gemäßheit der Reichs-
gesetzgebung geregelt werden. Ob dagegen ein Bantumann oder Suaheli der
Jurisdictions-, Besteuerungs= und Militärgewalt dieses oder jenes Häuptlings
unterliegt, ob sie ihre Ehe oder ihr Testament in dieser oder jener Form abschließen,
ob Berggerechtfame oder Plantagen dieser oder jener Gesellschaft zu diesen oder
jenen Bedingungen übertragen werden dürfen, und Aehnliches betrifft Gegenstände,
welche durch Art. 4 der Reichsverfassung der Reichsgesetzgebung nicht unterstellt
find. Aus dem Satze in Art. 11 der Reichsverfassung, daß der Kaiser das Recht
hat, das Reich völkerrechtlich zu vertreten, folgt, daß er Kolonien für das Reich
erwerben, dortige Plantagen verpachten, Eingeborene diesem oder jenem Häuptling
unterstellen kann, nicht aber, daß er darüber bestimmen kann, ob eine dort aus-
genommene Urkunde im Reiche Beweiskraft hat, dort gezahlte Steuern bei Steuern
im Reiche zu berücksichtigen sind, das Reichsgericht über Berufungen gegen dortige
Gerichte entscheiden kann u. s. w. 1. Die im Vorstehenden entwickelte Ansicht deckt
sich auch mit der Praxis.
Unzweifelhaft und unstreitig gründet sich das Recht des Reiches, Kolonien zu
erwerben, auf dessen völkerrechtliche Persönlichkeit ?. Nicht zutreffend erscheint die
Behauptung?, daß auswärtige Angelegenheit nur der Erwerbsact sei, und daß, so-
bald der Erwerb vollzogen ist, die Kolonialangelegenheiten nicht mehr auswärtige,
sondern innere Angelegenheiten seien, und daß daher der Bundesrath gemäß Art. 7
der Reichsverfassung für alle Reichs-(Kolonial-)Angelegenheiten zuständig sei, für die
nicht ausdrücklich eine andere Zuständigkeit festgestellt ist. Es ist richtig, daß der
Kaiser die Kolonien nicht für seine Person oder für Preußen, sondern für das Reich
erwirbt, daß Träger der Souveränetätsrechte im Reiche (Staatssekretär v. Schel-
ling in den Sten. Ber. des Reichstages 1885/86, S. 2028) nicht der Kaiser,
sondern die verbündeten Regierungen find, daß daher die verbündeten Regierungen
auch an den Schutzgebieten des Reiches die aus der Souveränetät fließenden Rechte
erworben haben und der Bundesrath als das collective Organ der sämmtlichen
deutschen Souveräne und freien Städte berufen ist, für die Schutzgebiete nicht blos
bei der Gesetzgebung mitzuwirken, sondern auch die sonstigen bei den verbündeten
Regierungen ruhenden Hoheitsrechte wahrzunehmen. Daraus folgt, daß, „wenn
nicht aus Gründen praktischer Zweckmäßigkeit und insbesondere im Hinblick auf die
wechselnden Bedürfnisse der Verwaltung“ in den noch unentwickelten überseeischen
Gebieten die „Schutzgewalt“, insbesondere das Recht des Gebots und Verbots mit
Rückwirkung auf das Reich und das Reichsgebiet an sich (d. h. ohne Specialgesetz),
dem Kaiser übertragen worden wäre, sie den verbündeten Regierungen zustehen
würde; daraus folgt aber nicht, daß der Bundesrath Namens des Reiches die
Rechtsverhältnisse der Bantuleute unter einander oder die Plantagenverhältnisse
regeln darf. Richtig ist nur, daß, wenn und soweit zur Ausführung der Vorschrift
in Art. 4, Ziff. 1 oder zur Ausführung z. B. des Gesetzes, betreffend die Rechts-
verhältnisse der deutschen Schutzgebiete (R.-G.-Bl. 1888, S. 75), oder über die
Auslegung von Vorschriften dieses Gesetzes oder über Erwerb und Verlust des
Indigenats in den Kolonien, über An= und Berechnung der dort zugebrachten
Dienstzeit Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten entstehen, der Bundesrath
gemäß Art. 7 der Reichsverfassung zuständig ist. Vertreter des Reichs schon auf
Grund der Verfassung ist auch in den Schutzgebieten der Kaiser, allerdings kraft
Uebertragung von Seiten der Bundesregierungen. Aber diese Uebertragung ist
unwiderruflich, und der Kaiser erklärt nicht seiner Verbündeten, sondern seinen
eigenen Willen als den des Reiches.
Nach Entwickelung der verfassungsrechtlichen Grundsätze sollen nunmehr an der
Hand der Darstellung von Stengel im Wörterbuch des deutschen Verwaltungs-
rechts, Bd. II, S. 434, die einzelnen Schutzgebiete aufgezählt werden:
1 Vgl. hierzu auch Bornhak, lc. S. 113, 2 v. Stengel, Ann. des Deutschen Reichs,
der aus Art. 11 ableitet, daß der Kaiser über-1895, S. 900, Seydel, Comm., S. 69; siehe
haupt die Staatsgewalt ausübt, und dagegen auch oben S. 172.
Laband, 1, S. 759. * Seydel, Comm., S. 69.