Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 16. Der Kaiser. 79 
Reichstage, zu genehmigen, daß die Ausübung der Präfidialrechte des Bundes durch 
den König von Preußen mit der Führung des Titels eines Deutschen Kaisers 
verbunden sein sollte. Dieser Antrag wurde am 10. December 1870 angenommen 
(Sten. Ber. des Reichstages 1870, S. 167 ff., 181 ff.). In dem Schreiben König 
Ludwig's II. von Bayern an den König Wilhelm vom 30. November 1870 
(Sten. Ber. des außerord. Reichstages 1870, II. Session, S. 76, und Seydel, 
Comm., 2. Aufl., S. 157) heißt es: „Nach dem Beitritte Süddeutschlands zu dem 
deutschen Verfassungsbündniß werden die Eurer Majestät übertragenen Präfidial- 
befugnisse über alle Deutschen Staaten sich erstrecken. Ich habe Mich zu deren 
Vereinigung in Einer Hand in der Ueberzeugung bereit erklärt, daß dadurch den 
Gesammtinteressen des deutschen Vaterlandes und seiner verbündeten Fürsten ent- 
sprochen werde, zugleich aber in dem Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium 
nach der Verfassung zustehenden Rechte durch Wiederherstellung eines Deutschen 
Reiches und der Deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, welche Eure 
Majestät im Namen des gesammten deutschen Vaterlandes auf Grund Einigung 
seiner Fürsten ausüben. Ich habe Mich daher an die deutschen Fürsten gewendet 
mit dem Vorschlage, gemeinschaftlich mit Mir bei Eurer Majestät in Anregung zu 
bringen, daß die Ausübung der Präsidialrechte des Bundes mit der Führung des 
Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde."“ 
Zweifellos ist, daß der König von Bayern und die übrigen Bundesfürsten 
durch das Anbieten der Kaisergewalt keinen realen Machtzuwachs, sondern nur eine 
äußere Ehrung für das Präsidium bezweckten. In dem gleichen Sinne erfolgte die 
Annahme der Würde durch König Wilhelm. Angebot und Annahme der 
Würde bezogen sich nur auf die Handhabung der Präsidialgeschäfte. König 
Wilhelm erklärte in der Proclamation vom 17. Januar 1871 (preußischer Staats- 
anzeiger 1871, Nr. 19), daß er die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der 
Pflicht übernehme, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu 
schützen — — „Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußen werden fortan 
den Kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des 
Deutschen Reiches führen“ — — —. 
Die Bezeichnung „Deutscher Kaiser“ wurde zunächst nur im ersten Satze des 
Artikels 11 der Reichsverfassung ausgesprochen, dessen erster Absatz seine heutige 
Form erhielt. Da es damals (im December 1870) an Zeit fehlte, die Terminologie 
der Ausdrücke „Deutscher Kaiser“ und „Deutsches Reich“ durchzuführen, wobei es 
sich keineswegs bloß um die einfache Ersetzung des einen Wortes durch das andere 
handelte 1, so erfolgte die Einsetzung der Worte „Deutscher Kaiser“ an die Stellen, 
an denen fie sich heute befinden, erst in der Verfassung, die als Anlage zu dem 
Gesetze vom 16. April 1871, d. h. als heutige Reichsverfassung, zur Verabschiedung 
gelangte (vgl. oben S. 86). Bei diesem Verlaufe der Dinge ist es als gewiß hin- 
zustellen, daß eine materielle Veränderung der Stellung, welche die norddeutsche 
Verfassung dem „Präsidium“ oder dem „Könige von Preußen“ oder dem „Bundes- 
feldherrn“ einräumte, durch die Benennung „Deutscher Kaiser“ nicht beabsichtigt 
und nicht herbeigeführt ist. Auch das Bundesrathsprotocoll vom Jahre 1870, §5 378, 
sagt: „Durch die Bezeichnungen Kaiser und Reich ist an dem materiellen Inhalt 
der Bundesverfassung ebensowenig wie an den Rechten des Bundesrathes und der 
Einzelstaaten etwas geändert worden.“ (Laband, Reichsstaatsrecht, 1, S. 186, 
Anm. 1, Seydel, Comm., 2. Aufl., S. 34.) Die Macht des Königs von Preußen 
als des Inhabers des Präsidiums ist zwar nicht durch die Bezeichnung „Deutscher 
Kaiser", wohl aber zugleich mit Einführung und trotz Einführung dieser Bezeichnung 
nicht unerheblich verringert worden (s. auch oben S. 37) — aus mehrfachen Gründen 
und in mehrfachen Hinsichten, hauptsächlich in folgenden: 
1. Preußen hatte nach der Verfassung des Norddeutschen Bundes im Bundes- 
rathe 17 von 43, also über ein Drittel aller Stimmen; nach der Verfassung 
  
1 Vgl. die Rede des Ministers Delbrück am 10. Dec. 1870 (Sten. Ber. des Reichstages 
1870, II. außerordentliche Session, S. 167).
	        
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