8 16. Der Kaiser. 81
Hiervon ist zunächst richtig, daß die Rechte, welche der König von Preußen
über außerpreußische Territorien, also welche er Namens des Deutschen Reiches
oder im Namen der verbündeten Regierungen ausübt, ihm von den außerpreußischen
Landesgesetzgebungen, welche die norddeutsche Bundesverfassung und die deutsche
Reichsverfassung annahmen, und zwar durch diese Verfassungen delegirt, übertragen
find. Aus dieser Thatsache allein folgt weder für den Umfang und Inhalt dieser
Rechte, noch für den Titel, unter dem sie auszunben find, auch nur das Mindeste.
Die Landesgesetzgebungen hätten z. B. dem Könige von Preußen die absolute
Herrschaft über ihre ganzen Staaten 1, sie hätten ihm auch weit weniger Befugnisse,
als geschehen ist, übertragen können. Richtig ist ferner, daß Inhalt, Umfang und
Art der Ausübung sich bezüglich der Präfidialbefugnisse nach der Reichsverfassung,
nicht nach preußischem Landesrechte richten. Der Kaiser hat fie indeß, nicht weil
die übrigen Bundesfürsten unter der Souveränetät des Reiches stehen, oder weil
sie der Souveränetät des Reiches untergeordnet find, sondern weil sie ihm diese
Rechte unter Zustimmung ihrer Landesvertretungen übertragen haben, gleichviel ob
freiwillig oder gezwungen. Der Kaiser ist aber nicht Mandatar, noch weniger
Collectivmandatar der deutschen Fürsten, weil der Mandatar seinem Man-
danten, nicht aber der Kaiser den übrigen Fürsten zu folgen hat und weil die
Mandanten das Mandat widerrufen können, die dem Kaiser ertheilten Befugnisse
aber un widerruflich sind. Der Kaiser ist ebenso wenig Collectivmandatar der
deutschen Fürsten wie der deutsche Reichstag Collectivmandatar der Einzellandtage
ist, obgleich ursprünglich die Zuständigkeit des Reichstages durch Delegation von
Seiten der Landesgesetzgebungen und also auch der einzelnen Landtage geschaffen
wurde. Allerdings übt der König von Preußen die Präsidialbefugnisse „im Namen
des Reiches“ oder „der verbündeten Regierungen“ aus, aber er erklärt, wie Seydel
zugesteht, nicht den Willen seiner Mitverbündeten, sondern seinen Willen als den
des Reiches und der verbündeten Regierungen, ebenso wie der deutsche Reichstag
im Namen des Reiches und für das ganze Reich an der Gesetzgebung mitwirkt,
aber seinen Willen — nicht den aller derjenigen Einzellandtage ausspricht, die
ihm einst auf gewissen Gebieten ihre Befugniß delegirten. Der Kaiser ist ferner
in manchen Hinsichten, z. B. bei Beschlußfassung über Gesetzesvorlagen, nur der
primus inter pares, weil er nur als König von Preußen an der Abstimmung über
Gesetze theilnehmen kann; in anderen Hinsichten, z. B. bei Kriegserklärungen und
Friedensschlüssen, bei Angelegenheiten der Kriegsflotte, der Mobilmachung, der
Verhängung des Belagerungszustandes, des Consulats-, des Post= und Telegraphen-
wesens, bei Ausübung seines Veto u. s. w., hat er keine pares; er allein ist ent-
scheidend. Die vom Kaiser innerhalb seiner verfassungsmäßigen Befugnisse getroffenen
Entscheidungen find auch für die übrigen Fürsten maßgebend und bindend. Der
vom Kaiser erklärte Krieg und Kriegszustand, die von ihm vollzogene Mobil-
machung wirken für das ganze Reich, für Volk und Fürsten. Insoweit läßt sich
mit Laband, I, S. 189, von einer Unterordnung der Fürsten unter dem
Kaiser reden: eine Unterordnung, die dadurch ihren Charakter nicht verliert, weil
sie bei ihrer Schöpfung durch Annahme der norddeutschen Bundes= und der deutschen
Neichsverfassung als eine mehr oder weniger freiwillige erschienen ist.
Man theilt die Rechte des Kaisers ein in die persönlichen und die Re-
gierungsrechte.
Zu den ersteren ist in erster Reihe zu rechnen die persönliche Unverant-
wortlichkeit. Der Satz des constitutionellen Staatsrechts: „Die Person des
Königs ist unverletzlich“ (Preuß. Verfassungsurkunde Art. 98) oder „the king can
do no wrong“ ist in der Reichsverfassung zwar nicht expressis verbis, aber un-
zweifelhaft enthalten. Einmal ist niemand genannt, dem der Kaiser verantwortlich
sein könnte; sodann könnte die Verantwortlichkeit im Reichsrecht nur gelten, wenn
1 So find, um ein analoges Beispiel zu ge-von Seiten Bayerns her. ute aber übt
brauchen, Theile von Bayern vollständdg an Preußen z. B. in Orb und Auro preußische,
Preußen abgetreten. Der preußische Staat leitete nicht bayerische Rechte aus.
sein erstes Recht auf diese aus der Uebertragung
Ausbt, Das Staatzrecht des Deutschen Neiches. 6