Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8§ 1. Geschichte und Berfassung des heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. 3 
Damit war die fast vollständige Souveränetät aller Landesherren ausgesprochen. 
Sie umfaßte seit dem Westfälischen Frieden, wie aus dessen Wortlaut hervorgeht, 
ohne daß besondere kaiserliche Verleihung mehr erforderlich war, auch die Regalien. 
Reservirt wurden dem Kaiser nur wenige Rechte: nämlich insbesondere das bis zur 
Auflösung des Reiches geübte, in völkerrechtlichen Beziehungen das Reich zu ver- 
treten; zu Kriegserklärungen und Friedensschlüssen bedurfte es freilich der Zu- 
stimmung des Reichstages. Er hatte, wie die Kaiser Roms, die Befugniß, 
die venia aetatis, die legitimatio plena und die minus plena zu ertheilen, übte das 
Recht, Univerfitäten zu bestätigen, insbesondere ihnen die Befugniß zur Ertheilung 
akademischer Grade beizulegen. Ferner konnte der Kaiser Wappen, Titel, Standes- 
erhöhungen verleihen 1. Aber auch diese Befugnisse waren eingeschränkt; so konnten 
die Kaiser nur bedingt und nie ohne der Kurfürsten und Stände Consens Jemanden 
zu Session und Stimme im Fürstenrathe zulassen ?. 
Das Deutsche Reich war ein sog. Staatenstaat. Sein — je länger je mehr — 
nur scheinbares Oberhaupt war der Kaiser, der nur von einer kleinen Zahl der 
Reichsstände, den Kurfürsten, gewählt wurde. Beschränkt war seine Macht durch 
die den Reichsständen (Landesherren) zustehenden Befugnisse und durch den Reichs- 
tag. Dieser bestand aus drei Collegien. Das erste Collegium war der Kur- 
fürstenrath, der namentlich seit dem 15. Jahrhundert einen Theil seiner Prä- 
ponderanz an die übrigen Landesherren und an die Städte abgeben mußte. Im 
Westfälischen Frieden wurde eine achte Kurfürstenstimme für das Pfälzische Haus, 
das seine 1623 an Bayern verloren hatte, errichtet. Im J. 1692 erhielt das 
Braunschweig-Lüneburg'sche Haus die (neunte) Kurwürde (Hannover), die i. J. 1708 
vom deutschen Reichstag anerkannt wurde. 
Das zweite Collegium war der Fürstenrath mit 100 Stimmen, 35 geist- 
lichen, 59 weltlichen Viril- und 6 Kuriatstimmen für die Grafen und Prälaten. 
Im Collegium der Reichsstädte war die rheinische Bank mit 14, die schwäbische 
mit 37 Städten vertreten k. Ihre Anerkennung als mitentscheidendes Mitglied des 
Neichstages erlangte die Städtebank nur allmählich. Dem Kaiser allein stand das 
Recht zu, den Reichstag zu berufen; doch blieb die i. J. 1663 nach Regensburg 
einberufene Reichsversammlung thatsächlich in Permanenz“. 
Innerhalb jedes der drei Reichstagscollegien entschied die Mehrheit. Aus- 
genommen, „causae haud collegiales“, waren die „jura singulorum“, ferner 
Religionsangelegenheiten. Der Reichstag war in ein Corpus Catholicorum und in 
ein Corpus Evangelicorum getheilt. Den Vorsitz im ersteren führte Kurmainz, im 
letzteren Kursachsen. Erklärte die Mehrheit, sei es im Corpus Catholicorum, sei es 
im Corpus Evangelicorum, etwas als Religionsangelegenheit, so ging der Reichs- 
tag auseinander nach den beiden Confessionen (itio in partes). Die innerhalb der 
Confessionen gefaßten Beschlüsse galten als gleichwerthig ohne Rücksicht auf die 
Zahl der Stimmen. Es konnte alsdann nur durch Uebereinstimmung des Corpus 
Catholicorum mit dem Corpus Evangelicorum gültig beschlossen werden . 
Uebereinstimmung des Kurfürstencollegiums, des Fürstenraths und des Col- 
legiums der Reichsstädte nebst kaiserlichem Ratificationsdecret machte ein Conclusum 
Germanici Imperü m(Reichsschluß) aus, das (nur) durch die Publication von Seiten 
des Kaisers Gesetz des Reiches wurde. 
Der Reichstag besorgte eine Anzahl Geschäfte durch Ausschüsse, „Deputationen“, 
die seit dem Westfälischen Frieden aus gleich vielen Reichstagsgesandten katholischer 
wie protestantischer Territorien zusammengesetzt werden mußten. Ein vom Kaiser 
bestätigter Deputationsschluß sollte die Kraft eines Reichsschlusses haben. 
  
1 Vgl. O. Mejer, § 27. 4 Val. O. Mejer, S. 73 ff. 
: Wahlcapitulationen 1686, 1653, 1711 f.. 5 Sam. de Pufendorf, De Statu Iim- 
O. Mejer, S. 33. Vor Allem Zachariä, Perül Germanici, Cap. VI, 9§9: Germaniam 
3. Aufl., Thl., S. 386 ff. esse irregulare aliquod corpus — cujus 
* Vgl. Art. VIII, § 4 des Instrumentum Simile in toto terrarum orbe non erstat. 
Paris Osnaburgensis v. J. 1648. 
1“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.