Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

86 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches. 
lichen Gebrechen können von dem preußischen Könige nicht gefordert werden. Der 
Erb= und Kronantritt in Preußen erfolgt ipso jure im Augenblicke des Todes des 
letzten Königs. Der König von Preußen wird mit Vollendung das achtzehnten 
Lebensjahres volljährig. Er leistet in Gegenwart der vereinigten (preußischen) 
Kammern das eidliche Gelöbniß, die Verfassung des Königreichs (Preußen) fest 
und unverbrüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Ge- 
setzen zu regieren (Artikel 54 der Preuß. Verfassungsurkunde). Während z. B. 
nach Artikel 80 der Constitution belge die Ausübung der Kronrechte in Belgien 
von der Vereidigung abhängt, find in Preußen die Kronrechte unabhängig von 
dieser Vereidigung (Arndt, Preuß. Verf., S. 109, Seydel, Bayerisches Staats- 
recht, Bornhak, Preuß. Staatsrecht, S. 183, Laband, Reichsstaatsrecht, 1, 
S. 205; anderer Anficht v. Rönne, Reichsstaatsrecht, I, § 26, S. 225). Auf die 
Reichsverfassung schwört der König von Preußen nicht, der Deutsche Kaiser als 
solcher hat keinen Eid zu leisten. 
Nicht für ihre Person, sondern als die staats- und völkerrechtlichen Vertreter 
ihrer Staaten haben die deutschen Fürsten die Bündnißverträge vom August 1866 
und vom November 1870 abgeschlossen; nicht für ihre Person, sondern für die durch 
sie vertretenen Staaten haben sie die Gesetze, auf denen die Bundes= und die Reichs- 
verfassung beruhen, vollzogen. Nicht der Person des Königs von Preußen, sondern 
der Krone und dem Staate Preußen find diejenigen Befugnisse in der nord- 
deutschen Bundes= und der deutschen Reichsverfassung übertragen worden, welche 
als Präsidialrechte zusammengefaßt werden (s. oben S. 83f.). Daraus folgt, daß 
die Präfidialrechte Jedem zustehen, der die königliche Gewalt in Preußen ausübt, 
auch dem Regenten von Preußen und dem Bevollmächtigten des Königs von 
Preußen (s. auch Arndt, Komm. zur Reichsverfassung, S. 125, Preuß. Verf., 
S. 112, Laband, Reichsstaatsrecht, I. S. 198, Seydel, Comm., S. 155; 
anderer Ansicht v. Mohl, Reichsstaatsrecht, S. 284 ff., und v. Rönne, Reichs- 
staatsrecht, I. S. 226). 
Das preußische Staatsrecht kennt nun zwei Arten der Stellvertretung. Die 
eine ist zulässig, wenn der König vorübergehend an der Regierung verhindert ist. 
Ihr Eintritt steht im alleinigen Belieben des Königs, der auch darüber frei be- 
findet, wie Inhalt, Umfang und Dauer der Vertretung sein soll. Der Stell- 
vertreter handelt in solchem Falle nicht aus eigenem Rechte, sondern kraft könig- 
lichen Auftrages, „auf Allerhöchsten Befehl“, und ist dem Könige für seine Re- 
gierungshandlungen verantwortlich. (Vgl. Arndt, Komm. zur preuß. Verf.-Urk., 
S. 111, Seydel, Bayer. Staatsrecht, I. S. 45 f.) In einem solchen Falle be- 
findet der König von Preußen auch darüber, ob, in welchem Umfange und auf wie 
lange sein Stellvertreter die Präßfidialrechte Preußens im Reiche ausüben soll. 
Ueberträgt der König uneingeschränkt seine Vertretung, d. h. nimmt er nicht aus- 
drücklich die Ausübung der Präsidialbefugnisse von der Vertretung aus, so hat der 
Vertreter auch die Präsfidialbefugnisse mit auszuüben, da diese preußische Rechte 
find. Selbstredend hört diese Art der Vertretung auf, sobald der König sie 
widerruft. 
Die andere Vertretung ist die des Regenten von Preußen; es ist dies eine 
Vertretung aus eigenem Rechte, unabhängig von dem Willen des Königs. 
Artikel 56 der Preußischen Verfassungsurkunde schreibt vor: 
„Wenn der König minderjährig oder sonst dauernd verhindert ist, selbst 
zu regieren, so übernimmt derjenige volljährige Agnat (Art. 53), welcher 
der Krone am nächsten steht, die Regentschaft. Er hat sofort die Kammern 
zu berufen, die in vereinigter Sitzung über die Nothwendigkeit der Regent- 
schaft beschließen.“ 
Die Regentschaft tritt ferner ein, wenn der letzte Throninhaber oder der vor 
dem letzten Throninhaber verstorbene nächstberufene Agnat nicht thronfähige männ- 
liche Nachkommenschaft, jedoch eine schwangere Wittwe hinterläßt, die Thronfolge 
also unsicher ist. In diesen Fällen übernimmt der Agnat zwar aus eigenem, ihm 
durch die Verfassung gewährleisteten Rechte (ex pacto et providentia majorum) 
die Regentschaft. Darüber aber, ob der Fall der Regentschaft gegeben, d. h. ob
	        
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