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vertretene oder nicht instruirte Stimmen werden nicht gezählt.“ (Vgl. hierzu auch
Seydel, Comm., 2. Aufl., S. 146.)
Artikel 6 der Reichsverfassung bestimmt im letzten Satze:
„Jedes Mitglied des Bundes kann so viel Bevollmächtigte zum
Bundesrathe ernennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesammtheit
der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden.“
Die Geschäftsordnung des Bundesraths vom 26. April 1880 gestattet auch
die Ernennung von stellvertretenden Bevollmächtigten zum Bundesrathe. Die Er-
nennung von Stellvertretern war für den ehemaligen Bundestag nicht nur zulässig,
sondern auch gebräuchlich, insoweit als die Vollmachten die Substitutionsklausel zu
enthalten pflegten (Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, II, § 256,
S. 679). Ein staatsrechtliches Bedenken liegt hiergegen nicht vor.
Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie nach dem Rechte des ehemaligen
deutschen Bundestages ist anzunehmen, daß kein Bundesrathsbevollmächtigter, ohne
daß ihm die Ermächtigung dazu von seinem Souverän ertheilt ist, einen Stell-
vertreter ernennen darf, sei dieser ein Mitglied der Versammlung oder nicht. Ist
ihm diese Ermächtigung ertheilt, so steht gesetzlich kein Bedenken entgegen, daß der
Bundesrathsbevollmächtigte davon in der ihm genehm erscheinenden Weise Gebrauch
macht. Wegen der Mißstände, zu denen die schrankenlose Zulassung der Sub-
stitutionen geführt hat, bestimmt die Geschäftsordnung des Bundesrathes vom
26. April 1880 (Seydel, Comm., 2. Aufl., S. 124), daß stimmführende Be-
vollmächtigte in Behinderungsfällen den Bevollmächtigten eines anderen Staates
substituiren können, jedoch nur auf Grund vorgängiger Mittheilung an den Reichs-
kanzler und nur für eine Sitzung, daß aber in der nächsten Sitzung wieder für
“*6* snOG bevollmächtigten Vertreter des betreffenden Staates gesorgt
n muß.
Die Geschäftsordnung des ehemaligen deutschen Bundestages enthielt Vor-
schriften zur Sicherung einer rechtzeitigen Beschlußfassung (Zachariä, Deutsches
Staats= und Bundesrecht, II, § 252, S. 657 ff.). Jeder Bundestagsgesandte sollte
im Falle seiner Abwesenheit oder sonstigen Verhinderung einen anderen Gesandten
substituiren und solches dem Vorsitzenden, womöglich am Tage vor der nächsten
Sitzung, anzeigen. Unterließ er dies, so wurde seine Stimme zur Vervollstän-
digung der Mehrheit oder Einstimmigkeit zugezählt. Ebenso wurden die Stimmen
derjenigen Bevollmächtigten, welche ohne erhebliche, von der Bundesversammlung
für genügend erkannte Gründe der Abstimmung sich enthielten, zur Vervollstän-
digung der Mehrheit oder Einstimmigkeit ohne Weiteres zugezählt. Ein anderer,
insbesondere ein unmittelbarer Zwang, sich an den Berathungen und Ab-
stimmungen zu betheiligen, war nicht vorhanden. Was nun das heutige Reichs-
recht anlangt, so fehlt die Vorschrift, und ist es daher absolut ausgeschlossen, daß
die Stimmen der Bundesrathsmitglieder, welche auch durch ihre oder ihrer
Auftraggeber Schuld an der Abstimmung nicht theilnehmen, der Mehrheit zu-
gerechnet werden; denn es heißt in Artikel 7, Abs. 3: „Nicht vertretene oder nicht
instruirte Stimmen werden nicht gezählt.“ Um so weniger kann behauptet werden,
daß die Verfassung des Deutschen Reiches einen directen Zwang zur Betheiligung
an den Bundesrathsberathungen oder an den Bundesrathsbeschlüssen enthält. Der
gleichen Ansicht find u. A.: Laband, Reichsstaatsrecht, I, Seydel, Commentar
zur Reichsverfassung, S. 146 f. a. a. O. und in v. Holtzendorff's Jahrbuch,
Bd. III, S. 280, G. Meyer, Staatsrecht, § 123, Anm. 8. Zorn, Reichsstaats-
recht, I, S. 157, nimmt eine unbedingte Verpflichtung der einzelnen Staaten an,
sich im Bundesrath vertreten zu lassen und an dessen Beschlüfsen theilzunehmen,
welche Verpflichtung schlimmsten Falles im Wege der Bundesexecution erzwungen
werden könne. Diese Ansicht muß aus mehrfachen Gründen als unzutreffend gelten,
und zwar erstlich, weil der Bund gegenüber den Mitgliedern nur die ihm aus-
drücklich übertragenen Befugnisse hat, er also das Recht der Execution nur haben
kann bei der Nichterfüllung einer ausdrücklich und klar den Einzelstaaten auf-
erlegten Pflicht; zweitens, weil ein solches Recht des Reiches ein novum gegenüber
dem Rechte des ehemaligen Deutschen Bundes enthalten würde, was nicht zu