Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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einzelstaatlichen oberen Behörden und Beamten 
der Verwaltung der indirekten Steuern, in Eil- 
fällen die Zoll-= und Steuerbeamten geringeren 
Ranges zur Beschlagnahme von Beweismitteln, 
der einzuziehenden Gegenstände und der Trans- 
portmittel befugt. Für die Beschlagnahmever- 
fügung kommen die 88 95 Abs. 1 und 97 der 
Strafprozeßordnung zur Anwendung. Die Aus- 
führung kann durch jeden Zoll- und Steuer- 
beamten erfolgen. Die Beschlagnahme von Briefen 
und Sendungen auf der Post sowie von Tele- 
grammen auf der Telegraphenanstalt ist ausge- 
schlossen. Die Beschlagnahme behält ihre Wir- 
kung bis zur Erledigung des Verfahrens oder bis 
zu ihrer Aufhebung durch die Verwaltungsbehörde, 
die mit Wegfall des Grundes der Beschlagnahme 
oder des sonstigen gesetzlichen Anlasses zur Zurück- 
behaltung zu erfolgen hat. In Beschlag genom- 
mene Gegenstände, deren Aufbewahrung, Pflege 
und Unterhaltung unverhältnismäßige Kosten ver- 
ursachen würde oder die dem Verderben ausgesetzt 
sind, können veräußert werden (val. preuß. Gesetz 
vom 26. Juli 1897). Bei Stempelsteuerhinter- 
ziehungen können nicht die Steuerbehörden, son- 
dern nur die Amtsgerichte auf Antrag des Stem- 
pelsteueramts bei den ihrer Gerichtsbarkeit unter- 
stellten Privatpersonen die Beschlagnahme von 
Schriftstücken anordnen. Der Ausführung der 
Beschlagnahme muß die Aufforderung zum Aus- 
weis über die gehörige Beobachtung der Stempel- 
steuergesetze unmittelbar vorausgehen. Der Aus- 
führung der Beschlagnahme durch das Gericht 
kann der Vorstand des Stempelsteueramts bei- 
wohnen (Vereinsgesetz vom 1. Juli 1869; preuß. 
Stempelsteuergesetz vom 31. Juli 1895; Reichs- 
stempelsteuergesetz vom 3. Juni 1906). I/Spahn.] 
Beschwerderecht. Beschwerderecht im for- 
mellen Sinn ist das Recht eines jeden Staats- 
bürgers, welcher durch die Anordnung oder Ent- 
scheidung eines staatlichen Beamten oder einer 
Behörde sich beschwert fühlt, bei dieser oder bei 
der vorgesetzten Behörde auf Abänderung anzu- 
tragen, äußerstenfalls an die Volksvertretung sich 
zu wenden. Nach der materiellen Seite läßt sich 
ein Begriff der Beschwerde nur gewinnen durch 
den Gegensatz zur Klage, indem man der Be- 
schwerde das Gebiet der Interessen, der Klage 
das Gebiet der Rechte zuweist. Doch ist in der 
Terminologie und Technik der deutschen Gesetz- 
gebungen diese Unterscheidung nicht immer durch- 
geführt, so daß für die Praxis allein durchschlagend 
die formelle Unterscheidung ist. 
1. Die Beschwerde auf dem Gebiet des Ver- 
waltungsrechts. Der Schutz der individuellen 
Rechts= und Interessensphäre eines jeden Staats- 
bürgers vollzieht sich im heutigen Staat wesent- 
lich durch zwei Mittel: die Klage und die Be- 
schwerde. Die Klage als Antrag auf gericht- 
liche Entscheidung ist begrifflich dann am Platz, 
wenn ein individuelles Recht durch einen andern, 
durch einen Staatsbürger oder durch eine staat- 
Beschwerderecht. 
  
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liche Behörde, verletzt worden ist; die Beschwerde 
ist begrifflich gegeben, wenn ohne Verletzung eines 
Rechts nur ein individuelles Interesse beein- 
trächtigt worden ist. Wo wegen Rechtsverletzungen 
ein Rechtsmittel gegeben wurde, welches Be- 
schwerde heißen sollte, hat man dieses auch (wie 
im bayrischen und württembergischen Verwaltungs- 
recht) Rechtsbeschwerde genannt, im Gegen- 
satz zur Verwaltungsbeschwerde wegen Ver- 
letzung von Interessen. Umgekehrt ist nach dem 
Staatsrecht mancher deutschen Bundesstaaten zu- 
weilen eine Klage im Verwaltungsstreitverfahren 
zugelassen, wo es sich nur um die Verletzung von 
Interessen handelt; so in Bayern, Württemberg, 
Sachsen, Hessen. Nach Reichsrecht gibt es wegen 
Überbürdung mit Zollgefällen nur eine Beschwerde 
bis zum Bundesrat; der Grund ist das Fehlen 
eines Gerichtshofs, welchem die Klage überwiesen 
werden könnte. — Do der einzelne Staatsbürger 
bei seinen äußern Handlungen nur verpflichtet ist, 
die Grenzen des Rechts zu beobachten, ohne gesetz- 
lich verpflichtet zu sein, auch auf die Interessen 
seiner Mitbürger Rücksicht zu nehmen, so hat bei 
Streitigkeiten aus dem Verkehr der Staatsbürger 
unter sich nur die Klage wegen Rechtsverletzungen 
statt. Wer nur seine Interessen durch einen andern 
Staatsbürger verletzt sieht, hat deswegen kein Be- 
schwerderecht, auch kein anderes Rechtsmittel. Die 
Beamten und Behörden des Staats dagegen sind 
verpflichtet, sowohl gegenüber den einzelnen Bür- 
gern als gegenüber den im Staat bestehenden 
Selbstverwaltungskörpern (Gemeinden, Kreisen, 
Provinzen) nicht nur die Grenzen des Rechts inne- 
zuhalten, sondern auch innerhalb dieser Grenzen 
die Interessen des Staats und der einzelnen Bür- 
ger zur Geltung zu bringen. Durch die Hand- 
lungen oder Unterlassungen staatlicher Organe 
können daher einesteils individuelle Rechte ver- 
letzt, andernteils auch ohne Rechtsverletzung in- 
dividuelle Interessen geschädigt werden. Für den 
ersten Fall soll ebenfalls die Klage, für den zweiten 
die Beschwerde zustehen. — Die Klage als ein 
Mittel zur Beseitigung von Rechtsverletzungen ist 
zu entscheiden durch eine von beiden streitenden 
Teilen unabhängige Behörde, welche mit 
allen Bürgschaften der Unparteilichkeit umgeben 
ist. Diese hat ihre Entscheidungen zu treffen ledig- 
lich nach den strengen Grundsätzen des Rechts und 
muß daher durchweg den Charakter eines Gerichts- 
hofs haben, mag die behauptete Rechtsverletzung 
auf dem Gebiet des privaten oder des öffentlichen 
Rechts liegen. Bei der Beschwerde ist die Ent- 
scheidung durch einen unabhängigen Gerichtshof 
kein wesentliches Bedürfnis, weil diese sich keines- 
wegs lediglich nach rechtlichen Gesichtspunkten zu 
richten hat; meist werden solche gar nicht vorhan- 
den sein, so daß nur den Rücksichten der Nützlich- 
keit, der Angemessenheit und des allgemeinen Inter- 
esses Rechnung zu tragen ist. Bei solchen Ent- 
scheidungen ist es nicht nur zulässig, sondern auch 
aus Gründen der Einheit und Gleichförmigkeit
	        
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